Message SEIT 1986 DAS ÄLTESTE QUEERE MAGAZIN DER SCHWEIZ – APRIL 2025 CHF 8.10KUNST, KULTUR & LEBENSSTIL FÜR DIE LGBT*-COMMUNITY4 Safer Spaces Kann man sich noch sicher fühlen? 12 Rechtsextremismus und Homophobie Warum Linke schwule Nazis kreieren 24 Pink Apple Filmfestival Queere Filme bis zum Abwinken
RUBRIKENTITELRUBRIKENUNTERTITELIhre kompetente Stellenvermittlung im GesundheitswesenDanya Care GmbH vermittelt qualifizierte Arbeitskräfte: professionell, zuverlässig, schnell und exakt auf die Vakanz abgestimmt.Auch für Arbeitgeber*innen sind wir Vermittlungs- Spezialisten!Suchen Sie qualiziertes Pegefachpersonal für Ihr Team? Wir helfen Ihnen, die richtige Person für Ihre Vakanz zu nden.Sie sind eine ausgebildete Fachkraft im Pege- oder Medizinalbereich mit guten Arbeitszeugnissen; Sie geben uns Auskunft über Ihre Erwartungen an die neue Stelle, Ihre Qualikationen, Fähigkeiten, Aus- und Weiter- bildungen und persönliche Daten.Wir entwickeln basierend auf Ihren Angaben ein Bewerber*innenprol und formulieren Ihre Erwartungen bezüglich der gewünschten Arbeitsstelle.Wir prüfen aufgrund der Anfragen unserer Mandanten und in fachspezischen Netzwerken passende Stellenangebote.Für Stellensuchende ist unsere Dienstleistung kostenlos!Für eine erfolgreiche Stellenvermittlung!Kontaktieren Sie uns – es lohnt sich für Arbeit- gebende und Arbeitnehmende!Danya CareDanya Care GmbH, Buckhauserstrasse 36, 8048 Zürich info@danyacare.ch, www.danyacare.chCRUISER_Oktober_2024_alt.indd 20CRUISER_Oktober_2024_alt.indd 20 23.09.24 15:4623.09.24 15:46
4 KULTUR SCHWULE SAFE SPACES 9 KULTUR «JAKOB LENZ»10 KULTUR BUCHTIPP 11 AUSSTELLUNG STAPFERHAUS LENZBURG12 POLITIK RECHTSEXTREMISMUS16 KOLUMNE MARIANNE WEISSBERG20 KULTUR «DIE VÖGEL» IM SCHAUSPIELHAUS24 FILMFESTIVAL PINK APPLE28 KULTUR DIE EVOLUTION SCHWULER MEDIENBILDER31 KOLUMNE MICHI RÜEGG32 LISTICLE 10 DINGE, DIE NUR SCHWULE MÄNNER VERSTEHEN34 RATGEBER DR. GAYCRUISER MAGAZIN PRINTISSN 1420-214x (1986 – 1998) | ISSN 1422-9269 (1998 – 2000) | ISSN 2235-7203 (Ab 2000) Herausgeber & Verleger medienHay GmbHInfos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.chChefredaktor Haymo Empl Stv. Chefredaktorin Birgit Kawohl Bildredaktion Haymo Empl Alle Bilder mit Genehmigung der Urheber*innen.Art Direktion Lili WagnerAutor*innen Andreas Bühlmann, Haymo Empl, Valeria Heintges, Birgit Kawohl, Moel Maphy, Michi Rüegg, Marianne WeissbergKorrektorat | Lektorat Birgit KawohlHinweis: Artikel, die mit «Team Cruiser» gekennzeichnet sind, stellen in der Regel bezahlte Empfehlungen (Publireportagen) der Redaktion dar.Anzeigen anzeigen@cruisermagazin.chChristina Kipshoven | Telefon +41 (0)31 534 18 30Druck werk zwei Print+Medien Konstanz GmbHREDAKTION UND VERLAGSADRESSECruiser | Clausiusstrasse 42, 8006 Zürichredaktion@cruisermagazin.chHaftungsausschluss, Gerichtsstand und weiterführende Angaben auf www.cruisermagazin.ch Der nächste Cruiser erscheint am 5. Mai 2025Unsere Kolumnist*innen widerspiegeln nicht die Meinung der Redaktion. Sie sind in der Themenwahl, politischer /religiöser Gesinnung sowie der Wortwahl im Rahmen der Gesetzgebung frei. Wir vom Cruiser setzen auf eine grösst mögliche Diversität in Bezug auf Gender und Sexualität sowie die Auseinandersetzung mit diesen Themen. Wir vermeiden darum sprachliche Eingriffe in die Formulierungen unserer Autor*innen. Die von den Schreibenden gewählten Bezeichnungen können daher zum Teil von herkömmlichen Schreibweisen abweichen. Geschlechtspronomen werden ent spre chend implizit eingesetzt, der Oberbegriff Trans* beinhaltet die ent- sprechenden Bezeichnungen gemäss Medienguide «Transgender Network Schweiz».Cruiser wurde als einzige LGBT*-Publikation als «kulturell relevant» eingestuft und wird daher in der Schweize rischen Nationalbibliothek, der ZB Zürich sowie in der deutschen Nationalbibliothek archi viert. Cruiser ist zudem via SMD (schweizerische Mediendatenbank) allen Medienschaffenden zugänglich.Jules wird auch dieses Jahr wieder am Pink Apple anzutreffen sein. IMPRESSUM EDITORIALLiebe Leser*innen Der Frühling bringt nicht nur frische Luft, sondern auch das 28. Pink Apple Filmfestival – ein Ort, an dem queere Geschichten sichtbar werden. Mit über 50 Langfilmen und 30 Kurzfilmen zeigt das Festival, wie wichtig queere Perspektiven in der Filmwelt sind. Daneben gibt es eine Ausstellung rund um Queerness sowie die Verleihung des «Golden Apple». Einen Überblick gibt es ab Seite 24.Queere Räume verändern sich rasant: Wo früher geheime Bars und Treffpunkte Schutz boten, scrollen wir heute durch digitale Safe Spaces. Doch bleibt das Digitale wirklich ein sicherer Ort – oder haben wir nur die Türsteher gegen Algorithmen getauscht? Wir gehen dem nach ab Seite 4. Andere Dinge scheinen leider Bestand zu haben: Sowohl Michi Rüegg als auch Birgit Kawohl machen sich Gedanken über rechtes Denken und den Bezug zu Homosexualität und Geschlechtervielfalt. Was die beiden zum Nachdenken anregt, ist hier nachzulesen: Seite 12 und 31. Diese Themen zeigen, dass unsere Community sich stetig verändern muss, um Herausforderungen zu meistern. Das schaffen wir am besten gemeinsam, damit die Vielfalt siegt.Eure Cruiser-Redaktion Birgit & HaymoRUBRIKENTITELRUBRIKENUNTERTITELIhre kompetente Stellenvermittlung im GesundheitswesenDanya Care GmbH vermittelt qualifizierte Arbeitskräfte: professionell, zuverlässig, schnell und exakt auf die Vakanz abgestimmt.Auch für Arbeitgeber*innen sind wir Vermittlungs- Spezialisten!Suchen Sie qualiziertes Pegefachpersonal für Ihr Team? Wir helfen Ihnen, die richtige Person für Ihre Vakanz zu nden.Sie sind eine ausgebildete Fachkraft im Pege- oder Medizinalbereich mit guten Arbeitszeugnissen; Sie geben uns Auskunft über Ihre Erwartungen an die neue Stelle, Ihre Qualikationen, Fähigkeiten, Aus- und Weiter- bildungen und persönliche Daten.Wir entwickeln basierend auf Ihren Angaben ein Bewerber*innenprol und formulieren Ihre Erwartungen bezüglich der gewünschten Arbeitsstelle.Wir prüfen aufgrund der Anfragen unserer Mandanten und in fachspezischen Netzwerken passende Stellenangebote.Für Stellensuchende ist unsere Dienstleistung kostenlos!Für eine erfolgreiche Stellenvermittlung!Kontaktieren Sie uns – es lohnt sich für Arbeit- gebende und Arbeitnehmende!Danya CareDanya Care GmbH, Buckhauserstrasse 36, 8048 Zürich info@danyacare.ch, www.danyacare.chCRUISER_Oktober_2024_alt.indd 20CRUISER_Oktober_2024_alt.indd 20 23.09.24 15:4623.09.24 15:46
Media © Shutterstock / Adobe StockCRUISER APRIL 20254KULTURSCHWULE SAFE SPACESVon der Geheimbar zum Grindr-Grid: Schwule Räume im WandelSchwule Männer navigieren heute zwischen physischen und digitalen Safe Spaces – mit allen Chancen und Risiken, die dieser Wandel mit sich bringt.VON MOEL MAPHYErinnert sich noch jemand an die Zeit, als man ein geheimes Codewort brauchte, um in eine Bar eingelassen zu werden? Als «schwule Trepunkte» in Stadtführern mit einem dezenten Sternchen markiert waren und man die eigene Sexuali-tät mit subtilen Accessoires (bunte Armbän-der, anyone?) signalisierte? Der Weg zu un-seren Safe Spaces hat sich grundlegend gewandelt – und das nicht nur, weil wir heu-te keine Taschenlampe mehr brauchen, um im Dunkeln den Club-Eingang zu nden.Die traditionellen schwulen Schutz-räume waren Überlebensstationen in einer feindlichen Welt. Eine versteckte Bar, ein Community-Zentrum im 4. Stock ohne Be-schilderung, ein Buchladen mit abgedun-kelten Fenstern – hier konnte man sein, wer Mary’s Old Timers Bar ca. 1950/1960, Fotograf unbekannt.
5CRUISER APRIL 2025man war, ohne ständige Wachsamkeit. Die-se Orte waren nicht nur für Dates und Drinks da, sondern fungierten als soziale Drehscheiben, politische Versammlungs-räume und manchmal schlicht als Zuucht-stätten.In Zürich war so eine «geheime Bar» beispielsweise Mary’s Old Timers Bar: Un-sere Erinnerungen an schwule Schutzräu-me reichen meist nur bis zur Gay Liberation nach 1969 zurück. Die Schweiz galt ab 1942 als vergleichsweise liberale Insel, da Homo-sexualität unter erwachsenen Männern nicht mehr strafbar war – anders als in vie-len Nachbarländern, wo die Gesetze noch Jahrzehnte streng blieben. Doch ein wahres Safe Haven war die Schweiz dennoch nicht, denn viele lebten weiterhin ein Doppelle-ben aus Angst vor beruichen oder familiä-ren Konsequenzen. Orte wie Mary’s Old Ti-mers Bar boten Diskretion, erforderten aber auch strenge Benimmregeln: Ohne Anzug und Krawatte kam niemand hinein, und ein Erstbesuch war nur mit einem Götti mög-lich, der Mary Lang bekannt war. Geirtet wurde leise und vorsichtig – meist erst ge-gen Mitternacht, mit Blicken statt Worten, denn die eigentliche Annäherung fand aus-serhalb der Bar statt.Die Stonewall-Bar in New York, deren Verteidigung 1969 zur Geburtsstunde der modernen LGBT*-Bewegung wurde, war genau so ein Ort. Eine Bar, in der sich Drag-queens, schwule Männer und andere quee-re Menschen versammeln konnten – bis die Polizei einmal zu oft kam, und ein Aufstand ausbrach. Unsere Geschichte ist untrenn-bar mit diesen physischen Orten verbun-den. Die Mauern schwuler Bars haben mehr Geheimnisse, Tränen und Lachen gehört als so mancher erapeut.Doch dann kam das Internet. Und mit ihm die grosse Umwälzung unserer Safe Spaces.Der schwule Mann im Netz – zwischen Dating-App und Insta-FilternHeute braucht es keine geheimen Klopfzei-chen mehr, um andere schwule Männer zu nden – ein Smartphone und eine Dating-App reichen aus. Was früher das nervenauf-reibende Augenspiel in der U-Bahn war («Schaut er mich an? Ist er schwul oder nur italienisch?»), ist heute ein simples Wischen nach rechts. Ezienter? Denitiv. Romanti-scher? Naja.Die digitalen Safe Spaces haben die Art, wie wir Gemeinschaft nden, revoluti-oniert:• Dating-Apps: Die Urmutter aller schwu-len Apps, Grindr, hat 2009 das Spielfeld für immer verändert. Plötzlich waren poten-zielle Partner, Freunde oder zumindest Chat-Buddies nur einen Fingertipp ent-fernt. Und wer nicht auf den gelb-schwar-zen Raster stand, konnte zu Scru, Hornet, PlanetRomeo oder einem Dutzend ande-rer Apps wechseln. Wo früher ein zufälli-ges Treen im Club Schicksal war, ist seit-her algorithmisches Matching.• Soziale Medien: Instagram, TikTok und Co. haben Plattformen geschaen, auf de-nen schwule Männer ihre Communitys nden können – vom Fitnessenthusiasten bis zum Drag-Liebhaber. Hashtags wur-den zu den neuen Geheimcodes, durch die man Gleichgesinnte entdecken kann. KULTURSCHWULE SAFE SPACESAnaloges contra digitales Dating: Früher war mitnichten alles schlechter, das Geheimnisvolle hatte sogar seinen Reiz.Die Mauern schwuler Bars haben mehr Geheimnisse, Tränen und Lachen gehört als so mancher Therapeut. Doch dann kam das Internet. Und mit ihm die grosse Umwälzung unserer Safe Spaces.➔
Media © ShutterstockCRUISER APRIL 20256KULTURSCHWULE SAFE SPACES• Geschlossene Gruppen: Auf Facebook, Discord oder Telegram existieren unzäh-lige Gruppen für spezische Interessen innerhalb der schwulen Community. Ob schwule Wanderfreunde, Brettspiel-Nerds oder Politik-Interessierte – es gibt für jeden Geschmack einen digitalen Raum.Diese Verschiebung ins Digitale hat besonders für Männer in ländlichen oder konservativen Gegenden neue Welten erö-net. Wo früher Isolation herrschte, kann heute zumindest virtuell Anschluss gefun-den werden. Der einsame Teenager in einer Kleinstadt muss nicht mehr warten, bis er in die Grossstadt ziehen kann – er ndet seine Community schon vorab online.Wenn die Firewall zum Schutzwall wirdSo rosig, wie es klingt, ist die digitale Revo-lution natürlich nicht. Unsere neuen Safe Spaces kommen mit eigenen Problemen:Wer Grindr nutzt, kennt das Phänomen des «digitalen Türstehers»: «Keine Fetten, keine Asiaten, keine Tunten» – Diskriminie-rung gibt es auch in unseren eigenen Räu-men. Die Anonymität des Internets scheint oft die schlimmsten Seiten hervorzubrin-gen. In physischen Clubs würde kaum je-mand einem anderen ins Gesicht sagen, dass er «zu schwul» aussieht – in der Chat-Bubble scheint das schmerzlich normal.Und dann ist da das kleine Problem-chen mit dem Datenschutz. Als Grindr 2020 zugeben musste, sensible Nutzerdaten (in-klusive HIV-Status) an Drittrmen verkauft zu haben, war das für viele ein Weckruf. In Ländern, in denen Homosexualität illegal ist, kann ein geleaktes Dating-Prol nicht nur peinlich, sondern lebensgefährlich sein.Auch die grossen Plattformen wie Fa-cebook, Instagram oder TikTok haben ein gespaltenes Verhältnis zu LGBT*-Inhalten. Während sie sich gerne mit Regenbogenlogo schmücken, berichten zahlreiche Content-Creator von gelöschten Posts und unter-drückten Inhalten – oft aufgrund ominöser «Community-Richtlinien». Ein keuscher Kuss zwischen zwei Männern wird gemeldet und entfernt, während heterosexuelle In-halte unbehindert bleiben.Nicht nur dieses Bild ist von einer KI produziert, auch manche Profile sind das mittlerweile. Ob das wirklich intelligent ist?In physischen Clubs würde kaum jemand einem anderen ins Ge-sicht sagen, dass er «zu schwul» aussieht – in der Chat-Bubble scheint das schmerzlich normal.
7ANZEIGE5 CRUISER SommER 2017sliPPerySubjeCtSVoN MARTIN MüHLHEIMC oming-out-Filme gibt es mittlerweile viele, und entsprechend unterschied-lich kommen sie daher: leichtfüssig- komisch wie der britische Klassiker Beautiful ing (1996), eher nachdenklich wie das brasilianische Kleinod Seashore (2015), bisweilen auch zutiefst tragisch – so im israelischen Drama Du sollst nicht lieben (2009), das in der ultraorthodoxen Gemein-de in Jerusalem spielt.Angesichts solcher Unterschiede er-staunt es umso mehr, mit welcher Regel- mässigkeit uns Coming-out-Filme Jungs oder Männer zeigen, die – alleine, zu zweit oder in Gruppen – schwimmen gehen. Nun könnte man das natürlich als Zufall oder Neben-sächlichkeit abtun. Bei genauerem Nachden-ken zeigt sich allerdings, dass sich gleich mehrere Gründe für diese erstaunliche Häu-gkeit nden lassen.Nackte Haut ohne allzu viel SexEine erste, nur scheinbar oberächliche Er-klärung ist, dass (halb)entblösste Körper sich nicht bloss auf der Leinwand, sondern auch auf Filmpostern und DVD-Covern äus- serst gut machen. Schwimmszenen bieten ein perfektes Alibi für das Zeigen von nack-ter Haut: Sex sells, wie es so schön heisst.Warum «Alibi»? Weil man – gerade bei Filmen mit jungen Protagonisten – aufpas-sen muss: «Sex sells» mag zwar zutreen, aber allzu explizite Sexszenen können schnell mal zu hohen Altersfreigaben füh-ren. Dies wiederum möchten Filmemacher in der Regel vermeiden: Filme, die erst ab 18 freigegeben sind, lassen sich nämlich weni-ger einfach vermarkten. Auf Amazon.de zum Beispiel werden Filme mit Altersfreiga-be 18 nur an nachweislich volljährige Perso-nen verkau – und gerade für Coming- out-Filme, die sich auch an ein junges Publi-kum richten, ist dies sicher kein wünschens-werter Eekt.Schwimmszenen bieten hier eine per-fekte Kompromisslösung: Man kann nackte Haut lmisch ansprechend inszenieren, da-bei aber allzu heisse Techtelmechtel tugend-ha vermeiden (beispielsweise, indem der Wasserspiegel immer über der Gürtellinie bleibt, wie im niederländischen Film Jon-gens, 2014). Um das Rezept knapp zusam-menzufassen: Man nehme eine grosszügige Portion feuchter Erotik, eine vorsichtige Pri-se Sex – und um Himmels Willen kein Körn-chen Porno. Eingetaucht ins TrieblebenMan täte den lesBischwulen Filmemache-rInnen aber unrecht, wenn man ihre erzäh-lerischen Entscheidungen allein auf nan-zielles Kalkül reduzieren wollte. Es gibt nämlich auch ästhetisch-symbolische Grün-de, die Schwimmszenen für das Genre inter-essant machen. Da wäre zunächst die Funktion des Wassers als Symbol für das Unbewusste. Dieses Unbewusste, so weiss man spätestens seit Sigmund Freud, hat viel mit der Triebna-tur des Menschen zu tun – und so erstaunt es nicht, dass Hauptguren auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität sozusagen symbo-lisch in die Tiefen des Unbewussten eintau-chen müssen, um ihr gleichgeschlechtliches Begehren zu entdecken. Figuren in der SchwebeDarüber hinaus hat die Filmwissenschale-rin Franziska Heller in ihrem Buch über die Filmästhetik des Fluiden (2010) gezeigt, dass schwimmende Figuren immer wieder als «schwebende Körper» inszeniert werden: o in Zeitlupe und seltsam herausgelöst aus dem sonst zielstrebig voranschreitenden Erzählprozess. Dieser Schwebezustand wie-derum ist eine wunderbare visuelle Meta-pher für die Phase kurz vor dem Coming-out: Man ist nicht mehr der oder die Alte, aber auch noch nicht ganz in der neuen Identität angekommen. Ein Film macht das Schweben sogar explizit zum ema: In Kinder Gottes aus dem Jahr 2010 zeigt Romeo dem neuro-tisch-verklemmten Johnny, wie befreiend das «Floating» im Meer sein kann.Neben der Inszenierung von Schwebe-zuständen und dem Wasser als Symbol für das Unbewusste ist drittens das Motiv von ➔ Filme, die ersT ab 18 FreiGeGeben sind, lassen sicH nämlicH WeniGer einFacH VermarKTen.ANZEIGE«Was geht mich meine Gesundheit an!» Wilhelm Nietzsche Wir sind die erste Adresse für diskrete Beratung in allen Gesundheitsfragen.Stampfenbachstr. 7, 8001 Zürich, Tel. 044 252 44 20, Fax 044 252 44 21 leonhards-apotheke@bluewin.ch, www.leonhards.apotheke.chIhr Gesundheits-Coach .rz_TP_Leonhards_Apotheke_210x93.3_Cruiser_4c_280317.indd 1 28.03.2017 10:07:37CRUISER APRIL 2025Das Beste aus beiden Welten?Die Zukunft schwuler Safe Spaces liegt ver-mutlich weder vollständig in der physischen noch ausschliesslich in der digitalen Welt – sondern irgendwo dazwischen. Hybride Modelle haben während der Pandemie ei-nen Aufschwung erlebt:Virtuelle Pride-Events erreichten Menschen, die sonst nie zu einer Parade ge-hen könnten. Online-Selbsthilfegruppen verbanden schwule Männer über Kontinen-te hinweg. Und so mancher Club experi-mentierte mit Livestreams seiner DJ-Sets, während die Tanzächen leer blieben.Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Safe Spaces sich weiterentwickeln – aber nicht verschwinden. Vielleicht laden wir in Zukunft zur Virtual-Reality-Party in unse-rem selbstgestalteten digitalen Club. Viel-leicht nutzen wir künstliche Intelligenz, um toxische Inhalte aus unseren Online-Räu-men zu ltern. Oder wir kehren zurück zu den Wurzeln und entdecken neu, wie wert-voll es ist, einen physischen Raum zu haben, in dem wir einfach sein können.Fest steht: Solange die Welt nicht voll-ständig sicher für uns ist, brauchen wir un-sere Schutzräume – egal, ob mit Backstein-mauern oder Firewall.Unsichtbar im RegenbogenIronischerweise bringt die neue Sichtbar-keit mancher queerer Menschen eine ande-re Form von Unsichtbarkeit mit sich. Wäh-rend der junge, gutaussehende und urbane schwule Mann zum akzeptierten Bild in der Gesellschaft geworden ist, bleiben andere Teile der LGBT*-Community im Schatten.Diese selektive Sichtbarkeit zeigt sich auch in unseren digitalen Räumen. Die Al-gorithmen sozialer Medien bevorzugen be-stimmte Körper und Narrative. Der durch-trainierte Torso bekommt mehr Likes als der durchschnittliche. Die leicht verdauli-che Coming-out-Geschichte wird geteilt, während komplexere Identitätsfragen un-tergehen.Besonders betroen sind schwule Männer jenseits der 50, Menschen mit Be-hinderungen, People of Color und jene, die nicht dem urbanen, hippen Ideal entspre-chen. Ihre Geschichten werden seltener er-zählt, ihre Prole seltener angezeigt, ihre Erfahrungen seltener gehört.Den Raum neu gestaltenWie können wir also dafür sorgen, dass un-sere digitalen und physischen Safe Spaces wirklich sicher und inklusiv werden? Die Herausforderungen sind vielschichtig, doch es existieren konkrete Ansätze, um den Sta-tus quo zu verbessern.Ein vielversprechender Anfang wäre, kritischer mit den Plattformen umzuge-hen, die wir täglich nutzen. Kommerzielle Dating-Apps und soziale Netzwerke folgen primär einer Protlogik, nicht den Bedürf-nissen marginalisierter Gemeinschaften. Eine Alternative könnten Community-ei-gene Netzwerke sein, die auf Genossen-schaftsmodellen oder Non-Prot-Struktu-ren basieren. In der Schweiz gibt es bereits erfolgreiche Beispiele für selbstverwaltete physische Räume – dieses Modell liesse sich auch auf digitale Plattformen übertra-gen. ➔KULTURSCHWULE SAFE SPACESDie Zukunft schwuler Safe Spaces liegt vermutlich weder vollständig in der physischen noch ausschliesslich in der digitalen Welt – sondern irgend-wo dazwischen.Kommerzielle Dating-Apps und soziale Netzwerke folgen primär einer Profitlogik, nicht den Bedürfnissen marginali- sierter Gemeinschaften.
CRUISER APRIL 20258KULTURSCHWULE SAFE SPACESBestehende kommerzielle Plattformen könnte man durch organisierten Druck zu mehr Transparenz und Mitsprache bewe-gen. Wenn Datenschutz und diskriminie-rungsfreie Algorithmen nicht nur als PR-Massnahmen, sondern als Grundrechte verstanden würden, könnten auch grosse Anbieter zu Veränderungen bewegt werden. Der kontinuierliche Dialog mit den Betrei-bern und das öentliche Ansprechen prob-lematischer Praktiken bleiben wichtige Inst-rumente.Auf lokaler Ebene könnten hybride Community-Hubs entstehen – physische Orte, die gleichzeitig als Knotenpunkte für digitale Vernetzung dienen. Solche Räume könnten besonders für jene wertvoll sein, die von der digitalen Spaltung betroen sind, etwa ältere schwule Männer oder Per-sonen mit begrenztem Internetzugang. In Zürich, Basel oder Bern könnten bestehen-de Community-Zentren ihre digitalen An-gebote ausbauen und gleichzeitig als An-laufstellen für diejenigen dienen, die Unterstützung im Umgang mit neuen Tech-nologien benötigen.Mentoring-Programme zwischen ver-schiedenen Generationen könnten eben-falls Brücken bauen. Jüngere Mitglieder der Community könnten ihr Wissen über digi-tale Plattformen teilen, während ältere ihre Erfahrungen und historisches Wissen wei-tergeben. Solche intergenerationellen Be-gegnungen würden nicht nur praktische Fähigkeiten vermitteln, sondern auch der oft beklagten Fragmentierung der Commu-nity entgegenwirken.Für eine inklusivere Gestaltung digi- taler Räume wäre die Beteiligung verschie-denster Community-Mitglieder an Ent-wicklungsprozessen entscheidend. Wenn Dating-Apps und soziale Netzwerke bereits in der Konzeptionsphase die Bedürfnisse von People of Color, Menschen mit Behin-derungen oder nicht-binären Personen berücksichtigen würden, müssten Inklusi-onsmassnahmen nicht nachträglich imple-mentiert werden. Hier könnten technolo-gieane Community-Mitglieder eine wichtigere Rolle spielen, indem sie ihr Fachwissen in den Dienst inklusiver Gestal-tung stellen.Ein weiterer wesentlicher Schritt wäre die kritische Reexion unserer eigenen Vor-urteile und Ausschlussmechanismen. Wenn in Dating-Prolen diskriminierende Präferenzen als persönlicher Geschmack verharmlost werden, reproduzieren wir problematische gesellschaftliche Struktu-ren. Community-Diskussionen, Workshops und Sensibilisierungskampagnen könnten das Bewusstsein für diese subtilen Formen der Ausgrenzung schärfen.Bildungsarbeit bleibt ein zentrales Element: Medienkompetenz, kritisches Denken und ein Verständnis für die politi-schen Dimensionen unserer digitalen Exis-tenz sollten stärker gefördert werden. Wer die Mechanismen von Algorithmen und Datensammlung versteht, kann informier-tere Entscheidungen über die eigene digita-le Präsenz treen.Auch rechtliche und politische Inter-ventionen dürfen nicht vernachlässigt wer-den. Die Schweiz könnte von anderen euro-päischen Ländern lernen, die strengere Regelungen für den Schutz digitaler Rechte entwickelt haben. Lobbyarbeit für bessere gesetzliche Rahmenbedingungen bleibt wichtig, sei es im Bereich Datenschutz, Anti-diskriminierung oder Netzpolitik.Schliesslich müssen wir anerkennen, dass wahre Safe Spaces nicht statisch, son-dern dynamisch sind. Sie erfordern kontinu-ierliche Pege, kritische Reexion und die Bereitschaft zur Veränderung. Ein Safe Space ist kein fertig eingerichtetes Wohnzimmer, sondern eher ein Garten, der beständige Auf-merksamkeit und Anpassung verlangt.Die Herausforderung liegt darin, digi-tale Räume zu schaen, die gleichzeitig oen und schützend sind – zugänglich für jene, die sie brauchen, aber sicher vor Missbrauch und Hass. Dies erfordert ein komplexes Gleichgewicht zwischen Moderation und Freiheit, zwischen Gemeinschaftsstandards und individueller Expression.Die Geschichte hat uns gelehrt, dass wir stärker sind, wenn wir zusammenhalten, statt uns zu spalten. Ein inklusiver Ansatz, der unterschiedliche Perspektiven respek-tiert und integriert, kann die Grundlage für die nächste Generation schwuler Safe Spaces bilden – Räume, in denen nicht nur einige wenige, sondern alle Mitglieder der Commu-nity Zuucht, Verbindung und Authentizität nden können.In einer Welt, die von technologischem Wandel geprägt ist, bleibt die fundamentale Sehnsucht nach menschlicher Verbindung konstant. Egal ob wir auf dem Smartphone nach rechts wischen oder an der Bar einen Drink bestellen – am Ende geht es um die Möglichkeit, ohne Furcht und ohne Verstel-lung einfach sein zu können. Und dafür lohnt es sich, gemeinsam neue Wege zu erschlies- sen. Medienkompetenz, kritisches Denken und ein Verständnis für die politischen Dimensionen unserer digitalen Existenz sollten stärker gefördert werden. Das Wichtigste an einer Partnerschaft sind Vertrauen und Verständnis. Wie man dies erreicht, ist unerheblich.Media © Shutterstock, Bild rechts: Jakob Lenz / Toni Suter
Mélanie Hubers Inszenierung von Wolfgang Rihms «Jakob Lenz» führt das Publikum mitten hinein in die Zerrissenheit eines Dichters zwischen Genie und Wahnsinn.Rastlose Reisein den WahnsinnWolfgang Rihms Kammeroper «Jakob Lenz» gehört zu den eindrucksvollsten Musiktheaterwerken des 20. Jahrhun-derts – ein intensiver Trip in den Abgrund einer rastlosen Seele. 1978 uraufgeführt, basiert das Stück auf Georg Büchners gleichnamiger Novelle und erzählt die Geschichte des Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz, der 1778 Zuucht beim Pfarrer Oberlin in den Vogesen sucht. Doch die Idylle hält nicht stand. Stimmen, die nur er hört, Halluzinationen und Schuldgefühle treiben ihn immer weiter in den Wahnsinn, bis die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verschwimmen.Die Musik als Spiegel des Wahns Wolfgang Rihm übersetzt Lenz’ geistige Zerrissenheit direkt in seine Komposition. Sanfte, nachdenkliche Klänge prallen auf eruptive Ausbrüche – mal aufwühlend, mal beklemmend, aber immer inten-siv. Die Musik macht hörbar, wie Lenz Stimmen wahrnimmt, die für andere nicht existieren, und zieht das Publikum mit in seinen Stru-del. Eine Oper, die nicht nur erzählt, sondern fühlbar macht.Mélanie Hubers radikale BildspracheDie Schweizer Regisseurin Mélanie Huber inszeniert das Werk mit dem Internationalen Opernstudio des Opernhaus Zürich und dem Musikkollegium Winterthur – und setzt auf eine ästhetische wie emotionsgeladene Bildsprache. In der Titelrolle steht Yannick De-bus, ein Bariton, der mit seiner intensiven Darstellung bereits über-regional für Furore gesorgt hat.Die Produktion bringt Rihms radikale Klangwelt eindrucksvoll auf die Bühne. Mélanie Huber gelingt es, die Grenzen zwischen Lenz’ innerem Chaos und der Bühnenrealität verschwimmen zu lassen, sodass das Publikum selbst zum Teil dieser beklemmenden Gedan-kenwelt wird. Was ist Einbildung, was ist Wirklichkeit? EMPFEHLUNG VON TEAM CRUISERKULTUR«JAKOB LENZ» JAKOB LENZOper von Wolfgang Rihm Ort: Theater Winterthur, Kirchgemeindehaus Liebestrasse, Liebestrasse 3, 8400 WinterthurAufführungsdauer: 6. bis 16. Mai 2025 Weitere Infos: theaterwinterthur.ch/jakob-lenz9CRUISER APRIL 2025
CRUISER APRIL 202510Media © Anita AffentrangerVON BIRGIT KAWOHLWenn man manchen Tag Revue pas-sieren lässt, denkt man auch: Das glaubt einem jetzt niemand und wenn man das in irgendeiner TV-Serie sähe, würde man wegen Unglaubwürdig-keit abschalten. Genau das scheint das grundlegende Motto der Anfang dreissig-jährigen Nora Osagiobare zu sein. Der Ro-man besticht durch Volten und Kehren, durch Unglaubwürdigkeiten und Kuriosi-täten und lässt nichts aus, was in den Ein-topf einer erfolgreichen und schmackhaf-ten Daily Soap gehört. So haben wir sexuelle Betrügereien, aus denen (teilweise zumindest) uneheliche Kinder entstehen. Wir haben einen dubio-sen (Mode-)Konzern mit einer unsympathi-schen Chen, die ein wenig die 101 Dalma-tiner durchscheinen lässt. Wir haben ein Bodenpersonal mit gewöhnungsbedürfti-gen Namen, was daher rührt, dass es sich um afrikanische Migranten handelt, von denen sich längst nicht jeder rechtmässig in der schönen Schweiz aufhält. Dazu kommt ein unterdrückter Millionärssohn, der zu-dem noch schwul ist (pfui Teufel!), was sei-ne Eltern aber keinesfalls wissen dürfen. Wem das immer noch nicht genug Irrsinn und Irrwitz ist, der darf auf einen Foetus in foeto – also einen ungeborenen Zwilling im eigenen Körper – sowie natürlich einen ver-tuschten Mord hoen.Das klingt verrückt? Ist es. Aber dabei doch so lustig und spritzig erzählt, dass man den Roman einfach lieben muss. Das Gute ist auch, dass man, ähnlich wie bei ei-ner TV-Soap, ruhig zwischendurch mal den Anschluss oder Überblick verlieren darf, etwa weil einen beim Lesen der dazwi-schengeschaltete Werbespot aus dem Kon-zept gebracht hat, da man jederzeit ins Ge-schehen neu einsteigen kann, da das Personal überschaubar ist. Wer doch ein-mal den Überblick zwischen Echo Efe, Prinz Okiti, Louis Efe und or Obioye verlieren sollte, der kann ink vorne ins Register blät-tern und schon sitzt das Personal wieder hübsch geordnet auf einer Reihe und ver-gnügt sich kreuz und quer miteinander.Dass die Handlung, die sich im Prinzip um ein marodes Modeunternehmen, einen Künstler und um diverse sexuelle Handlun-gen zwischen Männern und Frauen sowie Männern und Männern dreht, zudem noch in Zürich spielt, macht das Ganze noch spas-siger, da man die Gäste der «Kronenhalle» quasi leibhaftig vor Augen hat, wenn dort das Personal des Romans ein und aus geht.Wer «Daily Soap» liest, weiss, dass die Kardeshians langsam einpacken können (was uns in der Cruiser-Redaktion schon im Jahr 2007 klar war). BUCHTIPPNora Osagiobare: Daily Soap. Verlag Kein und Aber 2025.Preis CHF 32.90ISBN 978-3-0369-5062-4Das klingt verrückt? Ist es. Aber dabei doch so lustig und spritzig erzählt, dass man den Roman einfach lieben muss. Das Gute ist auch, dass man, ähnlich wie bei einer TV-Soap, ruhig zwischendurch mal den Anschluss oder Überblick verlieren darf… Was aber, wenn man es vorher gar nicht war? Macht nichts, denn in diesem rasanten Roman geht es sowieso drunter und drüber – Daily Soap eben. «Schwulsein ist wie Fahrradfahren, du verlernst es nie.»KULTURBUCHTIPPBuchtippApril
11CRUISER APRIL 2025Die neue Ausstellung im Stapferhaus in Lenzburg hinterfragt mit spielerischem Ernst, was es bedeutet, gesund zu sein, und lädt zur Reflexion ein.Ohne moralischen Zeigefinger: Gesundheit für alleEMPFEHLUNG VON TEAM CRUISERGesundheit steht heute hoch im Kurs – wir optimieren uns ständig, um möglichst gesund und leistungsfähig zu bleiben. Doch wer entscheidet, wo Gesundheit endet und Krankheit beginnt? Genau diese Frage greift «Hauptsache gesund. Eine Aus-stellung mit Nebenwirkungen» im Stapferhaus in Lenzburg seit dem 10. November 2024 auf und regt Besucher*innen dazu an, kritisch über unser Verständnis von Gesundheit und Krankheit nachzuden-ken.In einer informativen und interaktiven Inszenierung erfahren Besucher*innen, weshalb gerade junge Menschen heute verstärkt psychische Probleme zeigen und wie Gesundheit auch in schwieri-gen Lebensphasen bewahrt werden kann. Die Ausstellung beleuch-tet zudem das Geschäft mit Gesundheit: Medikamente, erapien, Wellness-Trends und Selbstoptimierung stehen dabei genauso zur Diskussion wie grundlegende gesellschaftliche Fragen zu Verant-wortung und Solidarität.«Wir nähern uns dem ema unvoreingenommen und ohne moralischen Zeigenger», so Sonja Enz, Co-Leiterin des Stapferhau-ses. Die Ausstellung verzichtet bewusst auf simple Antworten und fordert das Publikum heraus, eigene Vorstellungen zu hinterfragen.Gestaltet wurde das Ausstellungserlebnis vom renommierten Szenograebüro Kossmanndejong aus Amsterdam. Besucher*innen erwarten keine Gesundheitsratschläge, sondern eine Einladung zu einem kritisch-aktiven Umgang mit dem ema Gesundheit. AUSSTELLUNG «HAUPTSACHE GESUND»Ausstellungsdauer: 10. November 2024 bis 26. Oktober 2025 Ort: Stapferhaus, LenzburgÖffnungszeiten: täglich 9 bis 17 UhrSprachen: Deutsch, Französisch, EnglischWeitere Infos: stapferhaus.chAUSSTELLUNG STAPFERHAUS LENZBURG Media © Anita AffentrangerBuchtippApril
CRUISER APRIL 202512POLITIKRECHTSEXTREMISMUS«Schwul Heil!» - Homosexualität und RechtsextremismusHomosexualität in rechtsextremen Teilen der Gesellschaft mutet immer noch merk-würdig und falsch an, war und ist aber weitaus häufiger zu finden, als man denkt.VON BIRGIT KAWOHLUnd so entschloss ich mich, den Arsch noch voller Sperma, in den Sicher-heitsdienst einzutreten.» Mit diesen drastischen Worten entscheidet sich der Protagonist aus Jonathan Littells Roman «Die Wohlgesinnten» aus dem Jahr 2006 für seine (steile) Karriere im nationalsozialisti-schen System, obwohl – oder vielleicht gera-de weil? – er schwul ist. Dass Homosexuali-tät und Nationalsozialismus häuger gemeinsame Wege gingen, ist vielen be-kannt, die Gründe dafür und der gegenwär-tige Zusammenhang von Rechtextremis-mus und Queerness liegen aber oftmals im Nebulösen. Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, hat sich der Campus Verlag dazu entschlossen, Alexander Zinns Mono-grae «Schwule Nazis» neu aufzulegen, um der Fragestellung nachzugehen, ob die NS-Bewegung grosse Unterstützung durch die (männlichen) Homosexuellen erfahren hat und wie Verfolgung und Täterschaft zusam-menhängen. Die Erkenntnisse aus den Un-tersuchungen Zinns wiederum lassen Schlüsse auf die Gegenwart zu: Wie hängen extreme Männlichkeit in rechtsextremen Kreisen, eine intolerante Haltung gegen-über Queers und eindeutig schwule Mitglie-der z. B. in der deutschen NPD (neuerdings: Die Heimat) zusammen?
Media © Shutterstock, Wikipedia13CRUISER APRIL 2025Ausrottung als Staatsziel40’000 wegen §175 verurteile Männer wäh-rend des Nationalsozialismus, mehrere Tausend in Konzentrationslagern Gequälte und Gestorbene und dennoch wabert der «schwule Nazi» so konsequent durch Ge-schichtsbücher und Gehirne («Hitler war eigentlich schwul»), dass er kaum eine Er-ndung sein kann. Unbestreitbar ist, dass es in der NSDAP, ebenso wie in allen anderen Parteien in der Zeit der Weimarer Republik, homosexuelle Mitglieder gab. Bis zum Jahr 1934 war dies auch problemlos möglich, erst mit dem Röhm-Putsch (der Ermordung von Führungskräften der Sturmabteilung, kurz SA, und deren Chef, Ernst Röhm, auf Ge-heiss Hitlers) ändern sich die Vorzeichen und die Schwulen werden Repressalien und Verfolgung ausgesetzt, die nicht selten im Konzentrationslager und Tod enden. Juris-tisch nicht angreifbar machten sie die Be-fehlshaber, indem sie einen von Heinrich Himmler, dem Chef der gefürchteten SS, später sogar Reichsinnenminister, ausge-stellten Befehl vom 12. Juli 1940 «in Zukunft alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt› haben, nach ihrer Entlas-sung aus dem Gefängnis / Zuchthaus in ‹po-lizeiliche Vorbeugehaft› zu nehmen». Der vielleicht zunächst harmlos wirkende Be-gri der Vorbeugehaft bedeutete dabei we-nig anderes als Inhaftierung in einem Spe-zialgefängnis oder Konzentrationslager.Diskreditierung von aussenInteressanterweise liegt der Ursprung der Verfolgung Schwuler gar nicht in der Partei selbst, sondern erfolgte von aussen. So nutzte die SPD, deren Haltung zur Homose-xualität sich in der Zeit übrigens durch In-konsequenz und Vorbehalte auszeichnete, den Vorwurf des Schwulseins, um Mitglie-der des politischen Gegners zu diskreditie-ren und sich damit selbst vielleicht minima-le Vorteile bei der nächsten Wahl – und davon gab es in der Weimarer Republik eini-ge – zu sichern. Dies funktioniert erstaun-lich gut, zu viel Geist des Wilhelminischen Zeitalters und zu viel Korpsgeist aus dem Militär hat das Kriegsende und damit die Monarchie überlebt. Zwar geben sich Par-teien wie vor allem die SPD oder aber auch die KPD als demokratisch und weltoen, im Inneren sind sie aber oftmals gar nicht so weit vom Denken der konservativen und rechten Kräfte entfernt. Die Männerbünde als Zeichen heroischer LiebeBeispielhaft kann man hier den Schriftstel-ler und Philosophen Hans Blüher nennen. Geboren 1888 in Schlesien kommt er eigent-lich aus der Wandervogelbewegung, die sich in der Weimarer Republik grosser Be-liebtheit erfreute. Die «Wandervögel» gaben sich als Freiheitsdenker, Naturliebhaber und häug später auch als Gegner der Nati-onalsozialisten. Im Fall von Blüher sieht das allerdings anders aus: Statt von Oenheit und Toleranz war sein Denken vor allem von Antisemitismus, Antifeminismus und einem Hang zur Monarchie bestimmt. Die Wandervogelbewegung war für ihn vor al-lem männerbündisch, schwule Verbindun-gen ein Zeichen einer heroischen Liebe – im Unterschied zur Verbindung von Mann und Frau, die er rein romantisch sah. Man sieht an Blüher, dass konservatives und ausgren-zendes Denken kein Gegensatz zur Verfech-tung schwuler Liebe sein muss. Mit anderen Worten: Auch Schwule können extrem into-lerant und bösartig sein, siehe Maximilian Aue in Littells Roman.Immer wieder ist die Rede von schwu-len Netzwerken, die die Politik und die Gesellschaft beherrschten. Bei genauerer Betrachtung, wie es Zinn in seiner Untersu-chung klar herausstellt, kann man zwar sa-gen, dass es durchaus hohe NS-Parteifunk-tionäre gab, die schwul waren, dass man aber bei Weitem nicht von von Homosexua-lität durchsetzten Strukturen sprechen kann.Auf Suche nach GeborgenheitWas brachte junge Männer, die Sex mit Männern hatten, überhaupt dazu, in Orga-nisationen wie die SA einzutreten, wenn man doch von der Ablehnung der Nazis ge-genüber Homosexuellen wusste? Hier gibt es vielfältige Gründe: Man darf nicht ver-gessen, dass mit der Machtübertragung an Hitler und die NSDAP eine langjährige Pha-se der Unsicherheit und des wirtschaftli-chen Mangels zumindest für weite Teile der Gesellschaft endet. Der Eintritt in die Partei, den übrigens in den ersten Monaten von Hit-lers Herrschaft auch zahlreiche ehemalige Mitglieder der am anderen Ende des politi-schen Spektrums stehenden KPD vornah-men, gab vielen (jungen) Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben wirtschaftliche Sicherheit sowie so etwas wie Geborgenheit und Anerkennung. Nach dem 1. Weltkrieg, dessen Niederlage von den Deutschen als so niederschmetternd empfunden worden war, hatten zahlreiche Männer nicht nur ihre beruiche Karriere verloren, sie sahen oftmals auch keinen Sinn mehr in ihrem Le-ben und waren geprägt von Selbstzweifeln und Depressionen. Wenn dazu eine nicht «passende» Sexualität kam, war man schnell ganz am Boden. So wurde die Aufnahme in die Partei – meist mit oenen Armen – gerne angenommen. Endlich war man wieder wer. Und ja, die grundsätzliche Haltung der NSDAP gegenüber Homosexualität war erst einmal negativ, aber man musste ja nicht al-les erzählen. Ausserdem war die Partei stark von Männern geprägt und diese Männlich-keit war das, was viele suchten.POLITIKRECHTSEXTREMISMUSSA-Chef Ernst Röhm hielt seine Homosexualität nicht unter Verschluss und zahlte dies mit seinem Leben.Befehl vom 12. Juli 1940 «in Zukunft alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner ‹verführt› haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis / Zuchthaus in ‹polizeiliche Vorbeugehaft› zu nehmen».Was brachte junge Männer, die Sex mit Männern hatten, über-haupt dazu, in Organisationen wie die SA einzutreten, wenn man doch von der Ablehnung der Nazis gegenüber Homosexuellen wusste? ➔
Media © WikipediaCRUISER APRIL 202514POLITIKRECHTSEXTREMISMUSDass es mit der Ablehnung nicht so schlimm sein konnte, konnte man schliess-lich an Ernst Röhm ablesen. Der Chef der SA war eindeutig schwul und machte aus sei-ner sexuellen Neigung auch keinen Hehl. Er besuchte einschlägige Lokale, liess sich zu neckischen Sprüchen hinreissen und war in weiten Teilen er selbst. Heikel wurde es für schwule Parteimitglieder, als sich 1934 der Wind drehte, Röhm ermordet wurde und Homosexuelle zu einer klaren Opfergruppe der Nationalsozialisten wurden, was für Be-troene Ausgrenzung, Verhaftung, Ver-schleppung bis hin zur Ermordung bedeu-tete.Rechte Parteien mit homosexuellen MitgliedernDass sich nach dem 2. Weltkrieg vieles än-derte, ist unbestreitbar. Der § 175 blieb al-lerdings für lange Zeit bestehen, Queers sind heute immer noch Opfer von Anfein-dungen sowie Gewalt und rechtsradikale Parteien gibt es auch weiterhin. Nicht geän-dert hat sich dabei, dass in diesen rechten Parteien meist Männer das Sagen haben. Wenn man sich in Deutschland Aufmär-sche von Neonazis anschaut, sieht man vie-le Glatzen, viele Springerstiefel und vor al-lem viele Männer. Die wenigen Frauen, die zu Treen der braunen Bruderschaften mit-kommen, wirken eher wie zufällig hinzuge-fügtes Beiwerk als wie eigenständig den-kende Menschen. Auch unter diesen Männern gibt es immer wieder Schwule. Was bringt einen Homosexuellen dazu, sich einer rechtsextremen Gruppierung anzu-schliessen? Wir wundern uns ja schon über eine lesbische Alice Weidel in der deutschen AfD oder den schwulen Beat Feurer in der SVP, Parteien, die prinzipiell nicht für ihre Queerness bekannt sind. Im Gegenteil, in der zumindest in Teilen als rechtsextremis-tisch eingestuften AfD gab es auch im vor Kurzem abgelaufenen Wahlkampf wieder einiges an Widerstand gegenüber der Ehe für alle oder den Gesetzen zur Erleichte-rung von Geschlechtsangleichungen zu spüren. Auch wenn Beat Feurer stets beteu-ert, dass er «in der SVP nie so ausgegrenzt [worden sei] wie in der Schwulenszene (s. Tages-Anzeiger vom 23.03.2024), kann man prinzipiell festhalten, dass es in der SVP entschiedenen Widerstand gegen die Ehe für alle gab (und immer noch gibt), dass man hier davon ausgeht, dass solch eine Ehe dem Kindeswohl schade und sich der Verein «Gay SVP» vor mehr als einem Jahr aufgelöst hat (weil es ihn nicht mehr brau-che, so die Begründung).Michael Kühnen: ein «echter» schwuler NaziWenn schon in den genannten rechten poli-tischen Lagern die Vorbehalte gegen Queers so immens sind, wie sieht es dann in den «klassischen» rechtsextremen Parteien und Gruppierungen wie z. B. der deutschen Par-tei «Die Heimat» (vormals NPD) aus? Hier ist der Zusammenhang von Familie und der so genannten «Volksgemeinschaft» ganz eng, weswegen man deswegen auch folgen-den Passus des sächsischen Landesverban-des aus dem Jahr 2013 als Begründung ge-gen homosexuelle oder trans Verbindungen ndet: «Schützenswert und förderungswür-dig ist alleine die Verbindung von Mann und Frau, weil nur diese Verbindung Kinder hervorbringen kann. Kinder sind die Le-bensquelle eines jeden Volkes und Exis-tenzvoraussetzung unseres Sozialstaates, der nur durch nachwachsende Beitragszah-ler seine sozialen Sicherungssysteme erhal-ten kann. Homosexuelle tragen biologisch nichts zum Fortbestand des Volkes bei.» Eine Erziehung von Kindern in gleichge-schlechtlichen Partnerschaften ist hier prinzipiell nicht vorgesehen.Trotzdem ndet man auch in diesen Gruppierungen Homosexuelle. Ein Beispiel ist der 1991 an AIDS verstorbene Michael Kühnen, der sich mit Fug und Recht als An-führer der deutschen Neonazi-Szene in den 1980er-Jahren bezeichnete. Kühnen folgte streng der NS-Ideologie, sein Vorbild, dem er extrem nacheiferte, war der bereits mehr-fach erwähnte Ernst Röhm. Kühnen setzte sich für eine «völkische Revolution» ein, was ihn aber oensichtlich nicht daran hinderte, Sex mit Männern zu haben. Bei ihm scheint wieder die Suche nach extremer Männlich-keit und das Finden dieser in rechtsextre-men Gruppierungen funktioniert zu haben. Ideologie und Sexualität passen zwar nicht wirklich zueinander, aber wer etwas dage-gen sagt, bekommt einfach eins aufs Maul (so der Jargon in diesen Kreisen).Rosa von Praunheim zitiert anlässlich seines Films «Männer, Helden und schwule Nazis» im Jahr 2004 den Soziologen Prof. R. Lautmann wie folgt:« Schwule wurden im-mer verfolgt, in allen Parteien, allen Religio-nen und Gesellschaften. Deshalb ist es kein Grund für Schwule, sich nicht rechten Gruppierungen anzuschliessen, denn die Angst, entdeckt und bestraft zu werden, war und ist fast überall gleich.»Das wirft einen erschreckenden Blick auf unsere Gesellschaft und soll am Ende einfach mal so stehenbleiben. Michael Aloysius Alfons Kühnen war der Anführer der deutschen Neonazi-Szene - und schwul.Ein Beispiel ist der 1991 an AIDS verstorbene Michael Kühnen, der sich mit Fug und Recht als Anführer der deutschen Neonazi-Szene in den 1980er-Jahren bezeichnete. LITERATURAlexander Zinn: Schwule Nazis. Zur Genese und Etablierung eines Stereotyps. Campus Verlag 2025.Preis CHF 51.90ISBN 978-3-593-51942-5
15CRUISER APRIL 2025RUBRIKXXXXXXXXXXXXXXXXTICKETS VIA TICKETCORNER.CH | GOODNEWS.CHGOOD NEWSTICKETS VIA TICKETCORNER.CH | GOODNEWS.CH20. 11. 2025KOMPLEX 457 ZÜRICHT I C K E T S V I A T I C K E T C O R N E R . C H | G O O D N E W S . C H | T H E R A S M U S . C O MSENNA GAMMOURTOXISCH ABER SÜSS TOUR 202508.05.25 | THEATER 11 ZÜRICHLONELY SPRING & SPECIAL GUESTS11.10.25 | HAFENKNEIPE ZÜRICHTHE CAT EMPIREBIRD IN PARADISE TOUR28.09.25 | X-TRA ZÜRICHTHE DARKNESSSPECIAL GUEST: DEA MATRONA13.10.25 | KOMPLEX 457 ZÜRICH
CRUISER APRIL 202516KOLUMNEMARIANNE WEISSBERGCorona – weisst du noch?Mensch übertragen worden sein. Darauf jene Riesenstadt in Quarantäne, menschen-leere Strassen, aus dem Boden gestampfte Spitalcitys, die ersten Toten. Darunter der chinesische Wissenschaftler, der warnte und sogleich mundtot gemacht wurde. In der Schweiz soll Ende Februar der Automo-bilsalon stattnden, ich denke, geht’s noch? So ein Schrott, ausserdem kommen dorthin Besuchende aus der ganzen Welt. Huch. Sharon Stone lässt sich bei der Berlinale entschuldigen, ich denke, weiss die schon mehr als ich, oder ist sie halt etwas feige? 2. Anfangs März 2020: Eine Freundin will unbedingt ihren Geburtstag gross feiern. Die Pandemie «feiert» ihr 5-Jahre-Jubiläum. Doch niemand applaudiert oder erinnert sich gebührlich. Kann es sein, dass wir uns schlicht nicht mehr erinnern wollen? Fast eine Art Kunstinstallation: Positive Corona-Tests. VON MARIANNE WEISSBERG Ist Ihnen auch aufgefallen, dass Corona, wie man es in der Schweiz nannte, oder eben Covid19, wie es oziell hiess, kei-nen gebührenden Platz in unserem gemein-samen Gedächtnis erhalten hat? Nicht mal zu «fünf Jahre danach» spricht man gross darüber. Das nde ich seltsam, denn welt-weit starben Millionen an dieser megaanste-ckenden Atemwegskrankheit, in der Schweiz würden die Toten das ganze Zürcher Hallen-stadion füllen. Stellen Sie sich das mal vor! Trotzdem gibt es keinen jährlichen Gedenk-tag, keine nationale Schweigeminute. Und für jene, die immer noch an den Folgen einer Erkrankung leiden, existieren keine wirksa-men Heilmethoden. Also könnte man doch sagen: welch Desaster, damals und heute ebenfalls. Doch wir Menschen, damit auch ich, verdrängen alles, was nach Misserfolg riecht. Wobei, das Riechen, so erinnere ich mich, war das Erste, das einem abhanden kam nach einer Infektion. Was noch? Ich habe mir verknien, vor dem Schreiben zu recherchieren, was exakt wann geschah und wem. Ich lasse einfach mal Revue passieren, woran ich mich erin-nere. Und befragte natürlich auch meinen lieben schwulen Freund Harry, der sich be-züglich queerer Community erinnert. Viel-leicht ist es zu viel, was hier berichtet wird, eventuell hie und da banal; da lasse ich mich während des Schreibens dieses Erin-nerungs-Essays selbst überraschen. Am besten nummeriere ich durch die letzten fünf Jahre. Es geht los: 1. Irgendwann im Februar 2020: Meldun-gen aus einer Stadt in China, deren Namen ich peinlicherweise längt vergessen habe. Damals kannte ihn jede*r. Ein Virus soll auf einem grusligen Fleischmarkt von Tier auf Media © Marianne Weissberg
17CRUISER APRIL 2025KOLUMNEMARIANNE WEISSBERGIch sage mit schlechtem Gewissen ab, bin ich die Einzige in meinem Umfeld, die sich Virussorgen macht? Mitte März sitze ich vor dem Fernseher und höre dem noch unmas-kierten Bundesrat zu, der erklärt, dass die Schulen geschlossen würden und dass alle Ü65 zuhause bleiben sollten. Bin ich im fal-schen Film? So wie in «Contagion», ein Vi-renkatastrophenlm, der netterweise jetzt in allen Kanälen läuft. Im Hauseingang wer-den Zettel aufgehängt, wer einkaufen oder sonst wie assistieren möchte. Bei uns möch-ten alle nur «mit Hund spazieren», leider ha-ben wir im Haus nur einen. Soviel ich mich erinnere, kam es auch zu einem Lockdown aller Läden mit allem Unnötigen. Also fast allen. Bei den übrigen stand man draussen an, drinnen waren nur wenige Leute auf einmal erlaubt. Überall poppten Desinfek-tionsständer auf. Ich bestellte zwei hübsche Stomasken, die waren so wertvoll wie Dia-manten. Der Papst wandelte betend durch das menschenleere Rom, also ich fand den Anblick eher panikmachend. Jetzt erinnere ich mich taghell: Diese täglichen Meldun-gen der Infektionen, erst fand ich die Zahl drei grauenvoll, irgendwann erschrak ich nicht mehr. Die Särge stapelten sich, im Al-tersheim bei uns um die Ecke starben viele Menschen, das nde ich heute noch schreck-lich: Dieses Sterben, ohne dass es Lärm machte. Ja, doch, Lärm gab es zweimal, als wir auf Pfannen trommelten, um das Pege-personal, das heroisch täglich antrat, zu be-lobigen. 3. Mai 2020: Riesendiskussionen, ob eine Maskenpicht verordnet werden sollte. Ich fand: ja, denn so husteten die Hustenden wenigstens in eine Maske, statt an alle an-deren. Dieses Virus, das aussah wie eine grüne Kugel mit vielen angepappten Han-teln, konnte nämlich mit Worbgeschwin-digkeit überall andocken. Es gab jetzt Coro-naschnelltests, Infektionsmeldepicht: Wer wo was mit wem getan hatte – oder so ähn-lich. Von ganz unten bis ganz oben wurde erbittert gestritten. Expert*innen wurden aufs Erklärungspodest gehievt. Riesige, staatliche Corona-Hilfs-Kredite wurden vergeben, viele auf Nimmerwiedersehen Und während referiert wurde, an Live-TV-Konferenzen, die ich erst regelmässig, dann mit erlahmendem Interesse anschaute, gin-gen die Läden wieder auf. Als Erstes kaufte ich Blumen. 4. Herbst 2020: Ich kriege einen pulsieren-den Tinnitus, daran ist a) Isolationsstress (laut meiner HNO-Doc) und b) die Tumb-heit von Trump, Johnson und Co. Schuld (meine Einschätzung). Denen war ja alles furzegal. Meine Meinung: In der Krise zei-gen sich die (Politik-)Kriminellen ganz un-verhüllt. Wobei: So viel ich mich erinnere, war es länger ziemlich friedlich auf den üb-lichen Schauplätzen. Und auch die Fuss-ballhooligans und generell Terroristen machten Pause. Nicht jedoch die zweite Vi-renwille Delta, damit zweiter Lockdown. Ich hatte mich längst an die neue Langsam-keit gewöhnt, und ja, ich fand sie gut. Keine Weihnachtsshoppingmanie, man konnte einfach sagen: Ich bleib daheim und lisme den Schal selbst. Eine mögliche Impfung kam ins Gespräch. Wer kriegt die zuerst? Genau, diejenigen, die sich auch sonst im-mer gleich ganz vorne anstellten. Unverges-sen, der Eigner einer Luxus-Spitalkette, der illegalerweise in seine urgauer Klinik einog, um sich zuerst impfen zu lassen. Das hat mich total empört. Heute kann ich diesen Zorn nicht mehr so nachvollziehen. Aber wie erlebte die queere Community die Kapitulation vor der Gruselvirenkugel? Ich befragte Harry, der gleich losseufzte: «Während die Lockdowns für viele eine Zeit der Selbstreexion oder gar Entschleuni-gung war, brachen sie für manche Commu-nitys besonders hart über sie herein. Viele schwule Männer, gerade jene, die alleine lebten, standen plötzlich vor der paradoxen Situation, in einer Welt, die sie jahrelang er-kämpft hatten, wieder in Isolation zu gera-ten. Bars, Clubs, Saunen – all die Orte, die mehr als eine Vergnügungsstätte waren, nämlich auch sichere Räume und soziale Netzwerke – verschwanden auf unbestimm-te Zeit. Dating? Kompliziert! Man hatte ja nicht mal eine plausible Ausrede für ein spontanes Treen, ohne gegen irgendeine Regel zu verstossen. Das: «Ich muss ihm dringend mein Raclette-Set zurückbrin-gen», zog halt nur ein Mal. Gleichzeitig wur-de der schwule Freundeskreis für viele zu einer Art Überlebensstrategie – Zoom-Ape-ros, virtuelle Bingo-Abende, digitale Drag-Shows. Wer hätte gedacht, dass der ESC in einer schwulen Whatsapp-Gruppe mit Live-Kommentaren dereinst die einzige Party sein würde? Aber hey, Krise macht er-nderisch!» Und so gaben auch wir zwei uns halt schmatzende Luftküsse, wenn wir uns draussen zum Klatsch trafen. 5. Frühling 2021: Meine Doppelimpfung. Es gab nun ein Impf-Zertikat, das ich beim Restaurantbesuch oder in der Bibliothek vorzeigen musste. Wenn ich heute darüber nachdenke, was wir alles befolgten, nde ich das – eben wie in einem falschen Film. So quasi Science-Fiction mitten im Zürcher Kreis drei. Längst hatte sich die Gesellschaft gespalten: In solche, die sich grässlich un-terdrückt fühlten und wütend demonstrier-ten (kräftig unterstützt von der politischen Rechten) und solche, die sich halt den soge-nannten Massnahmen unterwarfen. Ich ge-hörte zur zweiten Abteilung, weil ich mich selbst, aber auch andere schützen wollte. Neuerdings wie angeworfen Ohrensausen, wie wenn ein ganzes Grillenorchester in meinen Kopf eingezogen wäre. Zu viel grü-beln oder, ähem, Folgen der Doppelimp-fung, wer weiss das schon? Es ist bis heute geblieben. Danke, blödes Corona! Aber wie erlebte die queere Community die Kapitulation vor der Gruselvirenkugel? Ich befrag-te Harry, der gleich losseufzte: «Während die Lockdowns für viele eine Zeit der Selbstreflexion oder gar Entschleunigung war, brachen sie für manche Commu-nitys besonders hart über sie herein.» Endlich mal ungeschminkt, da hübsch maskiert, durch die Supermarktgestelle cruisen! ➔
CRUISER APRIL 202518KOLUMNEMARIANNE WEISSBERG6. Sommer und Herbst 2021: An diese Zei-ten erinnere ich mich irgendwie gar nicht so richtig. Moment, doch, endlich war Trottel Trump weg, doch die Zwietracht, die er ge-sät hatte, blieb. Ich ging zu einer Tinnitus-erapie, bei der die erapeutin und ich Masken trugen beim Gespräch. Als wir uns ein einziges Mal ohne gegenüber sassen, war ich erstaunt, wie sie aussah, iiihh, diese Pferdezähne! Man war eben nicht mehr ge-wohnt, mehr als die Augenpartie zu sehen. Es gab längst Werbung für maskenfeste Lip-penstifte, man arbeitete gemütlich im Homeoce. Und trug nur oben etwas Sau-beres, wenn ein Zoom-Call angesagt war. Ah ja, die noch lebendige Queen erschien regelmässig im Fernsehen und versicherte, dass man sich bald wieder live treen wür-de. Richtig herzig. 7. Frühling und Sommer 2022: Die einen fanden alles wieder ganz normal, bzw. ver-schrieben sich der sogenannten Neuen Nor-malität. Auch so eine der seltsamen Wort-schöpfungen, die dank Corona entstanden. Doch was war diese NN eigentlich? Dass man wieder ins Büro musste? Dass alles vor-bei war? Hat sich noch jemand für Infekti-onszahlen interessiert? Für Kapazitäten von Intensivstationen? Die Begeisterung, dass man sich impfen lassen konnte, war wohl auch schon abgeaut. Ich musste eine OP im Unispital Zürich machen lassen. Dort war Maske noch obligatorisch, meine Pe-gerin riet mir, möglichst schnell auszuche-cken, es grassiere massiv Corona auf meiner Bettenstation. War es also damals so, dass es zwei Ebenen gab: die eine quasi nichts mehr Neues, die andere, sehr wohl! Im Som-mer ging ich auf eine grössere Hochzeit, mit mulmigem Gefühl. Immerhin konnte man schwitzige Umarmungen ohne Entschuldi-gung abwehren. Ich fuhr wieder viel ÖV und wurde ganz ungeniert angehustet. Etwa da-mals im Tram, Haltestelle Enge, ich dachte noch: ou nei, soo grusig! Denn weitere, vife Viren-Varianten mit putzigen Namen wie Omikron tauchten auf und dockten ugs an. Auch bei der Queen, die hatte im Herbst 2022 schliesslich ausgewinkt und bestieg die gül-dene Kutsche in den Adelshimmel. Seufz.8. Winter 2022/23: Jetzt erwischte ich zum ersten und bislang einzigen Mal Corona. Ende Jahr wachte ich stockheiser auf. Ich riss mein (abgelaufenes) Testkit, das man irgendwann gratis erhalten hatte auf, voilà zwei rote Strichli. Hätte ich das, sagen wir mal, im 2020 erblickt, wäre ich wohl ge-schockt gewesen, womöglich mausetot. Aber ich war dann nur zwei Wochen milde krank. Manche, die Impfungen nicht (mehr) so nötig fanden, waren in diesen Zeiten von «Coronagibtesdochgarnichtmehr!» bass er-staunt, wenn sie richtig es krank wurden und es nachher lange blieben. Long Covid! Ein Schrecken ohne Ende. 9. Das ganze 2024 bis heute 2025: Damit fünf Jahre danach. Die Welt hat sich erst mit einem Ruck geändert – viele, auch ich, freu-ten sich über eine weniger belastete Umwelt, etwa über Bilder von fröhlichen Delphinen in der Lagune Venedigs – und macht längst wieder weiter. Sozusagen auf miesem, neu-em Niveau. Meine Meinung. Der Online-Handel hat sich durch Corona monumenta-lisiert, es wird wieder masslos geogen. Diktaturen, die durch die Pandemie super austesten konnten, wie manövrierfähig und leidensfähig die Massen sind, konnten sich fest etablieren. Die Armen wurden ärmer, die Reichen unermesslich reicher. Homo-phobe und mysogyne Gauner wie Putin, Trump, Musk und Co. konnten sich (wieder) festschmarotzen. Corona ndet nun als Ge-heimsache statt. Aber wir alle spüren sie in den Knochen, wir sind misstrauisch gewor-den. Und wie anfangs erwähnt, gedenkt nie-mand der Verstorbenen. Und diejenigen, die an den Folgen einer Erkrankung leiden, kön-nen oft nicht geheilt werden. Eine latente Traurigkeit wabert durch das Land. Oder je-denfalls durch mich. Die Welt ist halt immer noch krank, so sehr, dass sie nur mittels Ver-drängung und ja, auch Lachen, weiterleben kann. Und wenn Sie so komisch husten und heiser sind, machen Sie bitte mal einen Test, Sie werden sich wundern, dass es Corona immer noch gibt... Gute Besserung, auch Dir, liebe Welt! MARIANNE WEISSBERGist Historikerin / Anglistin, emsige Buchautorin, Bloggerin & Kolumnistin und schreibt gerne öfters für den CRUISER. Sie lebt zmitzt in Zürich, sehnt sich aber heimlich nach der Idylle in einem pinken Cottage in Cornwall. Bis dahin kann sie gerne hier besucht werden: www.marianneweissberg.chDie Masken hängen nur noch dekorativ an der Garderobe statt über Mund und Nase. Media © Marianne Weissberg
Das Zewo-Gütesiegel steht für seriöse Hilfswerke.SPINAS CIVIL VOICESIhre Spende in guten Händen.Hilfswerke finden:ZEWO_Fueller_Fake-Fakt_210x282_RA_D_ZS.indd 1ZEWO_Fueller_Fake-Fakt_210x282_RA_D_ZS.indd 1 13.10.23 16:4913.10.23 16:49
Media © Philip FroweinCRUISER APRIL 202520KULTUR«DIE VÖGEL» IM PFAUENVON VALERIA HEINTGES W er sind diese Vögel? Sie haben Menschengesichter, aber schwar-ze Kappen statt Haaren. Haben wilde, schwarze, raschelnde Bastkörper, rosa Unterkörper und Beinchen. Wenn man sie rupft, kommt unter dem schwar-zen Bast der ganze nackte, rosa Körper her-vor – und der sieht sehr menschlich aus. Wenn man die Wesen ängstigt oder ärgert, dann verwandelt sich ihr Kopf mit einer grossen Maske, haben sie riesige, kahle Schädel, reissen sie grimmig oder ängst-lich ihr Maul auf.Sie sind wütend, die Vögel. Denn die Menschen, in dem Fall Pisthetairos und Eu-elpides, haben sie betrogen, ihnen den Staat vom Himmel herunter versprochen, den sie Wolkenkuckucksheim nennen wollten, und als der Staat dann fertig war, töteten sie den Wiedehopf-König.Jetzt suchen sie Rache. Das jedenfalls legt das Trio aus Texten nahe, das Regisseu-rin Lilja Rupprecht und ihr Inszenie-rungsteam (Dramaturgie Maike Müller) ih-rer Arbeit «Die Vögel» am Schauspielhaus Zürich zugrundelegen, die als Kooperation mit dem eater Hora angelegt ist. Dem ers-Der Mensch ist dem Menschen ein VogelLilja Rupprecht kooperiert am Schauspielhaus Zürich mit dem Theater Hora, um eine Trilogie über «Die Vögel» zu zeigen. Ein düsteres Unterfangen.Mensch oder Vogel? Egal, Hauptsache wütend.
21ten, kurzen Part mit Aristophanes’ «Die Vö-gel» (414 v.u.Z.) folgt ein deutlich längerer Mix aus der gleichnamigen Erzählung Daphne du Mauriers (1952) und dem Film Alfred Hitchcocks (1963), der eher frei den du Maurier-Sto nutzt. Die antike Fassung schon spielt in Zü-rich in einem schwarz, schwärzer, am schwärzesten Raum von Annelies Vanlaere, der nichts Gutes hoen und die Suche der beiden Menschen nach einem «Ort, der menschlich und human» ist als äusserst ausweglos erscheinen lässt. Ein einsamer, vertrockneter Baum im Hintergrund, ein völlig schwarzes Haus links, ein menhirar-tiger, dunkelgrauer Stein rechts. Dazu zau-bert Philipp Rohmer an seinem Computer, zuweilen auch mit E-Gitarre, einen Klang-teppich, der Unheil dräuend wabert oder selbiges Unheil rhythmisch vorantreibt. Vielleicht verbreitet die Vogelhorde, tierisch-hektisch zuckend und atternd, noch ein wenig Optimismus. Aber als dann Karin Pfammatters Wiedehopf, der sich ge-rade noch so herrlich aufgeplustert hat, ro-sig-gerupft auf dem Boden liegt, lässt Mensch endgültig alle Honung fahren. Da kann auch das orange-gelbe Kostü-mensemble der zunächst so freundlichen Menschen in Bodega Bay nur kurz Aufhel-lung bringen. Sofort ist die allerdings auch äusserst hochnäsig wirkende Melanie (So-phie Hottinger) bösem Rufmord ausgesetzt, der ihrer Liebe zu Mitch im Wege steht. Doch sind die beiden ohnehin kein gutes Paar, sie so zickig und Fridolin Sandmeyers Mitch so naiv-freundlich. Mit den alsbald angreifenden Vögeln steht ihre Beziehung auch weiter unter keinem guten Stern.Das dunkle Haus dient jetzt als Wohn-haus der Familie, in dem Pfammatter als trauernde Witwe Sohn Mitch vom Auszug abhalten will. Und gleichzeitig als Filmset-ting, wenn sein Inneres per Live-Video auf sein Äusseres produziert wird und Noha Ba-dir als Hitchcock regelmässig die Klappe fallen lässt.Derweil vermehren sich die angreifen-den Vögel rasant und werden immer aggres-siver. Diverse Strategien gegen die Gefahr werden vorgeführt – etwa Elias Arens’ Dan, der alle Gefahr wegredet und dann beherzt zum Gewehr greift, um den Tausenden Tie-ren Herr zu werden. Oder Sohn John (Vin-cent Basse), der schwarzmalerisch den KULTUR«DIE VÖGEL» IM PFAUENANZEIGELizenz: CC BY 2.0 benutzte Fotos: 1) Jason Martin 2) proacguy1 3) Masoz John 4) Levi Manchak 5) pitpony.photography | CC BY-ND benutzte Fotos: 6) Peter Tea | CC BY-NC-SA benutzte Fotos: 7) Vickliorz artischock.netRZ_Inserat_Kombi_Verzaubert_ZKB_210x140_2025_lk_060325.indd 1RZ_Inserat_Kombi_Verzaubert_ZKB_210x140_2025_lk_060325.indd 1 06.03.25 10:1006.03.25 10:10Vielleicht verbreitet die Vogel-horde, tierisch-hektisch zuckend und flatternd, noch ein wenig Optimismus. Aber als dann Karin Pfammatters Wiedehopf, der sich gerade noch so herrlich aufgeplustert hat, rosig-gerupft auf dem Boden liegt, lässt Mensch endgültig alle Hoffnung fahren. ➔
CRUISER APRIL 202522KULTUR«DIE VÖGEL» IM PFAUENWeltuntergang an die Wand malt. Dazwi-schen Simon Stubers Kassandra, in Zitro-nengelb herzallerliebst gekleidet, aber von Berufs wegen ewig schwarzmalend, von Jah-reszeit zu Jahreszeit immer nur noch bitterer. Regisseurin Lilja Rupprecht hat sich nicht zuletzt mit ihren Arbeiten am eater RambaZamba in Berlin einen Namen ge-macht. Umso mehr verwundert es, dass sie die simple Regel, ausnahmslos alle Schauspieler*innen zu übertiteln, nicht be-herzt, sondern stattdessen sowohl die Ho-ra-Ensembleschauspieler Robin Gilly als auch Matthias Brücker wichtige Sätze sa-gen lässt, die man beim besten Willen nicht verstehen kann. Andererseits darf etwa Noha Badir nicht viel mehr tun als die Film-Takes anzusagen oder – das allerdings wirklich toll – in Beatboxing-Manier seine Stimme für Rohmers Atmo-Soundtrack zur Verfügung zu stellen.Findet die Arbeit zwischen Horas und Nicht-Horas schon kein Gleichgewicht, krankt sie auch an ihrer etwas überladenen Konstruktion. Die Vögel, um die Eingangs-frage aufzugreifen, stehen für alles – und für nichts. Wer will, kann in sie phasenweise die Rache der Natur hineinlesen oder auch den Menschen, der dem Menschen ein Wolf ist, pardon: ein Vogel. Dann wieder wird auf ganz aktuelle Verunsicherung angespielt, wenn Mutter Lydia fragt, ob nicht Amerika den Eingeschlossenen helfen könne – da muss das Publikum von der Welt-mit-Trump genervt bitter auachen. Natürlich ist dann keiner auf Katastrophen irgendwelcher Art vorbereitet, die rosagesichtigen Wesen sind bald schon überall. Am Ende sagt Reporter Matthias Brücker: «Ich schliesse meine Au-gen und suche neue Honung.» Man möchte es ihm gleichtun. Media © Philip FroweinDie Vögel, um die Eingangsfrage aufzugreifen, stehen für alles – und für nichts. Bietet Verrücktheit der Welt noch einen Hoffnungsschimmer? Vielleicht wenn man die Augen schliesst, wie es Matthias Brücker am Ende vorschlägt.DIE VÖGELIn Kooperation mit dem Theater Hora zeigt das Schauspielhaus Zürich «Die Vögel».Regie: Lilja RupprechtVorstellungen: Mehrere Vorstellungen im April.Tickets: Direkt an der Theaterkasse oder online unter theaterkasse@schauspielhaus.ch
OriginellSPINAS CIVIL VOICESKriminellPLASTICFACTSJahr für Jahr gelangen 9 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle in die Ozeane. Geht das so weiter, werden 2050 mehr Plastikabfälle im Meer schwimmen als Fische. Helfen Sie uns, das zu ändern. oceancare.orgOC_Fueller2020_Dorie_210x285_ZS.indd 1OC_Fueller2020_Dorie_210x285_ZS.indd 1 11.11.20 14:5911.11.20 14:59
CRUISER APRIL 202524FILMFESTIVALPINK APPLEKlappe auf: Pink Apple, die 28ste!Queere Filme sind auch im Jahr 2025 oft nicht im Mainstream-Programm der Kinos zu finden. Umso wichtiger ist das jährlich stattfindende Pink Apple Filmfestival.VON ANDREAS BÜHLMANN D as 28. Pink Apple Filmfestival, das bedeutendste queere Filmfestival der Schweiz, verspricht auch 2025 ein unvergessliches Erlebnis zu werden. Mit rund 600 Filmeinreichungen und einer nalen Filmauswahl von über 50 Lang- lmen und 30 Kurzlmen erwartet die Besucher*innen ein vielfältiges und span-nendes Programm am Puls der Zeit. Das Festival beleuchtet in diesem Jahr wichtige gesellschaftliche emen, darunter «Sex Work» in einer einzigartigen Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Sexworkers Col- lective Schweiz im Feministischen Streik-haus. Den Ursprung hatte diese Ausstellung in Berlin im Schwulenmuseum unter dem Titel «With legs wide open». Ein weiterer Fo-kus liegt auf dem Eurovision Song Contest, auf queerer Fankultur anlässlich der Frau-enfussball-EM und auf spannenden Panels wie z.B. zu Non-Binärität. Der Community-Tag stärkt den Dialog zwischen allen quee-ren Kulturen und bietet Raum für Aus-tausch.Das Festival erwartet die wohl grösste Veränderung in seiner bald 30-jährigen Ge-schichte. So wird ein neues Kapitel gestar-tet, denn es konzentriert sich nun im pulsie-renden Kreis 5, mit dem Kino Rira, dem Zollhaus, der Bar Gleis und dem Regenbo-genhaus als neuen zentralen Locations. Dies ermöglicht mehr Flexibilität bei der Programmgestaltung. Filme werden künf-tig dreimal statt zweimal gezeigt, was den Besucher*innen eine grössere Auswahl und bessere Planbarkeit bietet. Einiges bleibt je-Media © Adobe Stock
25doch gleich: Die Opening- und Closing-Nights nden nach wie vor im eleganten Arthouse Le Paris im Kreis 1 statt. Ein weite-res Highlight ist das Golden Apple-Pro-gramm, das wie gewohnt im Filmpodium präsentiert werden wird.Das Pink Apple Filmfestival ehrt 2025 den Schweizer Produzenten Ivan Madeo, der seit über 15 Jahren das queere Kino der Schweiz prägt, mit dem Golden Apple. 1976 in Bern geboren, entfaltete Madeo schon während seines Studiums der Filmjourna-listik und Klinischen Psychologie an der Universität Fribourg sein aussergewöhnli-ches Talent für die Erzählkunst. Nach ers-ten Erfolgen in der Werbebranche gründete er 2008 die Produktionsrma «Contrast Film», die heute zu den führenden Unter-nehmen im Bereich innovativer Film- und Serienproduktionen zählt. Mit seinen Part-nern Stefan Eichenberger und Urs Frey prägte Madeo zahlreiche preisgekrönte Fil-me, die sowohl künstlerisch als auch inhalt-lich hervorstechen.Queere Geschichten und Charaktere sind für ihn eine Selbstverständlichkeit in seiner Arbeit. Schon sein erster Kurzlm «Un mundo para Raúl» (2012), der 2013 den Student Academy Award gewann, themati-sierte soziale Ungleichheit. Später setzte er sich in «Landesverräter» (2024) mit Verrat und der Sehnsucht nach einem besseren Le-ben auseinander. Besonders prägend war sein erster Langlm, «Der Kreis» (2014), der als Meilenstein des Schweizer queeren Ki-nos gilt. Der Film, bei dem Madeo eng in die Drehbuchentwicklung involviert war, ge-wann zahlreiche Auszeichnungen, darun-ter den Teddy Award der Berlinale.Madeo hat ein besonderes Talent da-für, gesellschaftlich relevante emen auf die Leinwand zu bringen, ohne die Balance zwischen Unterhaltung und künstleri-schem Anspruch zu verlieren. Dabei unter-stützt er sowohl aufstrebende als auch etab-lierte Regisseur*innen. So war er auch bei Projekten wie der Serie «Davos 1917» (2023) und dem Dokumentarserie «Game Over – Der Fall der Credit Suisse» (ab 27.03.2025 im Kino) ein wichtiger Impulsgeber. Mit Filmen wie dem aktivistischen «Stray Bo-dies» (2024) über (weibliche) körperliche Selbstbestimmung und «Und dass man ohne Täuschung zu leben vermag» (2023), der häusliche Gewalt bei einem älteren les-bischen Paar thematisiert, setzte er starke Akzente im breiten Spektrum von LGBT*-Geschichten.Ivan Madeo nimmt den Ehrenpreis Golden Apple am Donnerstag, dem 1. Mai, um 18 Uhr im Filmpodium persönlich ent-gegen. Das Pink Apple zeigt während des Fes-tivals sechs von Ivan Madeo produzierte Langlme und führt mit ihm ein Werkstatt-gespräch am Freitag, dem 2. Mai, um 18 Uhr im Filmpodium. Im Anschluss könnt ihr bereits jetzt erste Filmhighlights entdecken. Das Pink Apple bleibt der Trepunkt für queere Film-kunst und -kultur, und 2025 wird es aufre-gender und bunter denn je!FILMFESTIVALPINK APPLEANZEIGE➔Mehr queere Kultur für Zürich. Mehr für Sie.Inserat Pink Apple204x90 mmzkb.ch/pinkappleZürich: 29.4. — 8.5.25Frauenfeld: 9.5. — 11.5.25 ––Filme aufsaugen!pinkapple.chVVK: 17.4.2025
CRUISER APRIL 202526FILMFESTIVALPINK APPLEBABYDREI KILOMETER BIS ANS ENDE DER WELTNach seiner Entlassung aus einer Jugend-strafanstalt ndet sich der 18-jährige Wel-lington allein auf den Strassen von São Pau-lo wieder, ohne Kontakt zu seinen Eltern und ohne die nötigen Mittel. Er begegnet dem über 40-jährigen Ronaldo, der ihm neue Überlebensstrategien in der Gross-stadt beibringt, die auch Sexarbeit implizie-ren, in einem Pornokino. Nach und nach entwickelt sich ihre erotisch aufgeladene Liebesbeziehung zu einer komplizierten Leidenschaft zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit. «Baby» zeigt eindrück-lich auf, wie nah Gefahr und Chance beiein-ander liegen können und welche Rolle dabei auch Sexwork spielt.Adi (17) verbringt seinen letzten Sommer im rumänischen Donaudelta, bevor er in Buka-rest studiert. Doch nach einem homopho-ben Übergri ändert sich alles: Seine Eltern, die nichts von seiner Homosexualität wuss-ten, sperren ihn ein und nehmen ihm das Handy ab. Die Polizei vertuscht das Verbre-chen. Um sich zu retten, muss Adi eine schwierige Entscheidung treen und auf die Hilfe seiner besten Freundin zählen. In die-sem packenden Coming-of-Age-riller kämpft Adi gegen die Widerstände von Fa-milie, Kirche und Staat, um frei leben zu können. Der Film prangert Homophobie, staatliche Korruption und religiösen Fana-tismus in einem aufwühlenden Filmerleb-nis an und wurde in Cannes mit der Queeren Palme ausgezeichnet.
27FILMFESTIVALPINK APPLERENT FREEQUIRIn Palermo bendet sich ein ungewöhnli-cher Laden mit dem Namen Quir, der sich allen Konventionen widersetzt. Die Besitzer Massimo und Gino sind seit zweiundvierzig Jahren ein Paar, vielleicht das langlebigste schwule Paar in Italien. Ihr kleines Leder-warengeschäft ist zu einem wichtigen Tre-punkt der lokalen LGBT*-Szene geworden – hier diskutieren die Menschen über ihre Liebesgeschichten oder suchen Rat, und kämpfen darum, in einer Hochburg der pat-riarchalischen Kultur akzeptiert zu werden. «Quir» wurde bereits mehrfach ausgezeich-net, zuletzt an den Solothurner Filmtagen mit dem Publikumspreis.Ben und Jordan, seit ihrer Kindheit beste Freunde, leben in einem sich schnell verän-dernden Austin, wo sie sich mit schlecht be-zahlten Jobs, angespannten Beziehungen und ihrer eigenen, emotional abhängigen Freundschaft herumschlagen. Als sie plötz-lich ihre Wohnung verlieren, schmieden sie einen letzten Plan, um den Rest des Jahres «mietfrei» zu verbringen. Sie begeben sich auf eine tragikomische Reise über die Sofas, Fussböden und Gästezimmer ihrer Freunde und Sexpartner, während sie verzweifelt versuchen, genug Geld zu sparen, um Austin hinter sich zu lassen und in das gelobte New York City zu entiehen. «Rent Free» ist eine satirisch angehauchte Komödie über eine Generation am Rande des Abgrunds und eine ergreifende Erkundung einer Bro-mance und einer queeren Stadt im Um-bruch.28. PINK APPLE FILMFESTIVAL Das vollständige Festivalprogramm steht ab 9. April zur Verfügung unter pinkapple.ch Zürich: 29. April bis 8. Mai 2025 Frauenfeld: 9. bis 11. Mai 2025.Start Vorverkauf: 17. April online ab 12:30 Uhr
VON HAYMO EMPL V om klischeehaften Sidekick zum viel-schichtigen Hauptcharakter – die Dar-stellung schwuler Männer in Film, Fernsehen und Literatur hat einen bemer-kenswerten Wandel durchlaufen. Während frühere Repräsentationen oft von eindimen-sionalen Stereotypen oder tragischen Schicksalen geprägt waren, erleben wir heu-te eine Medienlandschaft, die zunehmend facettenreichere und authentischere Figuren hervorbringt. Doch wie weit ist dieser Fort-schritt tatsächlich gediehen? Welche blinden Flecken bestehen weiterhin in unserer Un-terhaltungskultur?Vom versteckten Code zum ProtagonistenIn den frühen Jahrzehnten des Filmschaf-fens existierten schwule Charaktere haupt-sächlich im Verborgenen – codiert durch subtile Andeutungen, die nur Eingeweihte verstehen konnten. Die Ära des berüchtigten Hays-Codes (1934-1968) in Hollywood ver-bot die explizite Darstellung von Homosexu-alität vollständig. Diese «codierte Homose-xualität» beschränkte schwule Charaktere auf zwei Hauptrollen: den diabolischen Bö-sewicht oder die lächerliche Karikatur.Die 1970er- und 80er-Jahre brachten mit gesellschaftlichen Umbrüchen auch ers-Sidekick oder Protagonist – schwule Klischees im FilmDie Repräsentation schwuler Männer in Medien hat sich gewandelt – von stereo- typen zu komplexeren Figuren, allerdings mit Luft nach oben.CRUISER APRIL 202528KULTURDIE EVOLUTION SCHWULER MEDIENBILDERMedia © Adobe Stock / Wikipedia
29CRUISER APRIL 2025te explizitere Darstellungen. Doch das vor-herrschende Narrativ blieb problematisch: Schwule Männer wurden häug als tragi-sche Figuren inszeniert, deren Leben von Einsamkeit, gesellschaftlicher Ablehnung oder Krankheit geprägt war. Filme wie «Philadelphia» (1993) mit Tom Hanks in der Rolle eines an AIDS erkrankten Anwalts wa-ren zwar wichtige Meilensteine, perpetuier-ten aber gleichzeitig das Bild des «leidenden Schwulen».So entwickelte sich ein zweischneidi-ges Schwert: Einerseits erhielten schwule Charaktere mehr Bildschirmzeit, anderer-seits blieben sie oft in stereotypen Rollen ge-fangen – der überdrehte beste Freund, der einsame Künstler, der AIDS-kranke Schwu-le als Sinnbild für das «gefährliche Leben».Selbst als «Brokeback Mountain» 2005 mit seinem ergreifenden Porträt einer heimlichen Liebe zwischen zwei Cowboys internationale Anerkennung gewann, blieb die Grunderzählung eine von Unmöglich-keit und letztendlich Tragik.Komplexe Charaktere erobern die BildschirmeDer eigentliche Paradigmenwechsel begann erst mit dem Aufkommen qualitativ hoch-wertiger Fernsehserien, die mehr Raum für Charakterentwicklung boten. Serien wie «Queer as Folk» wagten erstmals, eine Ge-meinschaft schwuler Männer in all ihrer Vielfalt zu zeigen – mit ihren Freundschaf-ten, Liebesbeziehungen, beruichen Ambiti-onen und alltäglichen Problemen.Schwule Figuren mussten nicht länger mit Nebenrollen vorliebnehmen. In Serien wie «Looking» (2014 – 2016) drehte sich die gesamte Handlung um eine Gruppe schwu-ler Freunde mit unterschiedlichen Lebens-entwürfen und Persönlichkeiten. Auch Seri-en wie «Sex Education» gehen neue Wege: Eric Eong, ein schwuler Teenager mit nige-rianischem Hintergrund, ist eine eigenstän-dige, facettenreiche Figur mit eigenen Hand-lungsbögen. Seine Homosexualität ist ein wichtiger Teil seiner Identität, aber bei wei-tem nicht der einzige.Die wirkliche Revolution besteht darin, dass mittlerweile schwule Charaktere ge-schrieben werden können, die genauso kom-plex und widersprüchlich sein dürfen wie heterosexuelle. Sie haben beruiche Ambiti-onen, Familienprobleme, Freundschaften – und nicht jeder schwule Charakter muss zwangsläug eine dramatische Coming-out-Geschichte durchleben oder tragisch enden.Die moderne Darstellung schwuler Männer bricht zunehmend mit den lange etablierten Klischees. AIDS bleibt ein wichti-ger Teil der schwulen Geschichte, doch aktu-elle Produktionen wie «It’s A Sin» (2021) zei-gen nicht nur das Leid, sondern auch die Solidarität, Lebensfreude und den Aktivis-mus innerhalb der Community. Statt schwule Figuren in die Extreme des hyper-maskulinen «Straight-Acting» oder des ult-rafemininen «Camp» zu drängen, spiegeln moderne Charaktere die tatsächliche Viel-falt schwuler Männlichkeiten wider.Die Streaming-Revolution und ihre AuswirkungenEinen massgeblichen Anteil an dieser Ent-wicklung haben die Streaming-Dienste. Netix, Amazon Prime, Disney+ und andere Plattformen haben das Potenzial queerer Geschichten erkannt und nutzen ihren kre-ativen Spielraum, um diversere Narrative zu fördern.Anders als traditionelle Fernsehsender können Streaming-Dienste auch Nischen-publikum bedienen. Eine Serie muss nicht mehr den Massengeschmack treen, um er-folgreich zu sein. Streaming-Dienste haben zudem das Tor für internationale Produktio-nen geönet, die queere Perspektiven aus verschiedenen Kulturkreisen zeigen. Spani-sche Serien wie «Élite», thailändische BL-Dramen, brasilianische Produktionen oder südkoreanische Filme bringen neue kultu-relle Kontexte in die queere Repräsentation ein.Besonders bedeutsam ist die Verfüg-barkeit queerer Inhalte für junge Menschen. Ein Teenager, der seine eigene sexuelle Iden-tität entdeckt, kann heute selbstbestimmt auf eine Vielzahl positiver Darstellungen homosexueller Lebensweisen zugreifen.Doch nicht alles ist positiv an der Strea- ming-Revolution. Manche Produktionen spielen bewusst mit der Andeutung queerer Inhalte, um diese Zielgruppe anzusprechen, ohne jedoch tatsächlich schwule Charakte-re zu liefern. Dieses «Queerbaiting» unter-miniert authentische Repräsentation. Ande-re be t rei ben ei ne Ar t «Token-Re prä sen tat ion », bei der schwule Charaktere oberächlich gezeichnet sind und lediglich eine Quoten-funktion erfüllen.KULTURDIE EVOLUTION SCHWULER MEDIENBILDERDoch das vorherrschende Narrativ blieb problematisch: Schwule Männer wurden häufig als tragische Figuren inszeniert, deren Leben von Einsamkeit, gesellschaftlicher Ablehnung oder Krankheit geprägt war. Aidskranker Anwalt oder heimliche Liebe: Im Vordergrund steht jeweils die Tragik.In «Pose» haben wir eine nicht so häufige Mischung aus queeren Menschen und People of Color.Besonders bedeutsam ist die Verfügbarkeit queerer Inhalte für junge Menschen. Ein Teenager, der seine eigene sexuelle Iden-tität entdeckt, kann heute selbstbestimmt auf eine Vielzahl positiver Darstellungen homose-xueller Lebensweisen zugreifen.➔
CRUISER APRIL 202530Diversität innerhalb der DiversitätWährend die Repräsentation schwuler Männer insgesamt zugenommen hat, bleibt ein zentrales Problem bestehen: Die sicht-barsten schwulen Charaktere entsprechen oft einem sehr spezischen Prol – jung, weiss, attraktiv, gebildet, mit gesichertem Einkommen.Während einige herausragende Pro-duktionen wie «Moonlight» (2016) oder die Serie «Pose» (2018-2021) die Erfahrungen queerer People of Color in den Mittelpunkt stellen, bleiben sie in der Gesamtlandschaft unterrepräsentiert. Die mediale Darstellung konzentriert sich fast ausschliesslich auf junge oder jüngere erwachsene schwule Männer. Die Lebenserfahrungen älterer schwuler Generationen bleiben weitgehend unsichtbar.Die Schnittstelle von Homosexualität und Behinderung ist in Mainstream-Medi-en nahezu nicht existent. Die spezischen Erfahrungen schwuler Männer mit körperli-chen, sensorischen oder kognitiven Beein-trächtigungen werden kaum thematisiert, was zu einer doppelten Unsichtbarkeit führt.Die meisten queeren Narrative sind in urbanen Zentren angesiedelt. Das Leben schwuler Männer in ländlichen Regionen mit ihren besonderen Herausforderungen bleibt weitgehend unerzählt. Während die Medien oft wohlhabende schwule Charak-tere zeigen, sind Darstellungen von Armut oder wirtschaftlicher Unsicherheit selten.Die Erweiterung der Repräsentation über den «Standardtyp» hinaus ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch der Authentizität. Die LGBT*-Community ist so divers wie die Gesellschaft selbst – und diese Vielfalt verdient es, in ihrer ganzen Breite dargestellt zu werden.Die transformative Kraft der RepräsentationDie Evolution der schwulen Repräsentation in den Medien hat konkrete Auswirkungen auf das Leben echter Menschen und die ge-sellschaftliche Wahrnehmung von Homo-sexualität.Studien belegen, dass positive mediale Vorbilder das Selbstwertgefühl stärken und Identikationsmöglichkeiten bieten. Be-sonders für Jugendliche, die ihre sexuelle Identität entdecken, können authentische Darstellungen ein lebenswichtiger Anker sein. Der «Kontakthypothese» der Sozial-psychologie zufolge reduziert der (auch me-diale) Kontakt mit Mitgliedern einer Min-derheitsgruppe Vorurteile und fördert Empathie. Besonders in Regionen, in denen Homosexualität noch stark tabuisiert ist, können Medien eine Brücke zu mehr Ver-ständnis bauen.Mit der zunehmenden Sichtbarkeit wächst auch die Verantwortung. Medien-schaende haben die Macht, Narrative zu prägen und zu verändern. Dies erfordert umfassende Recherche und Zusammenar-beit mit der Community, Diversität hinter der Kamera, nicht nur davor, und die Bereit-schaft, auch weniger sichtbare Aspekte queerer Lebenswelten zu thematisieren.Idealerweise bewegen wir uns auf eine Medienlandschaft zu, in der schwule Cha-raktere selbstverständlich sind, die volle Bandbreite schwuler Lebenswelten reprä-sentiert wird, und queere Geschichten von queeren Kreativen erzählt werden. Gleich-zeitig darf mediale Repräsentation kein Er-satz für reale gesellschaftliche und politi-sche Fortschritte sein.Die Evolution schwuler Repräsentati-on ist ein fortlaufender Prozess, der sowohl kritische Reexion als auch kreative Inno-vation erfordert. Die Richtung stimmt: weg von Stereotypen und Tragik, hin zu Kom-plexität, Authentizität und der Feier der Vielfalt menschlicher Erfahrungen. KULTURDIE EVOLUTION SCHWULER MEDIENBILDERDie Erweiterung der Repräsen-tation über den «Standardtyp» hinaus ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch der Authentizität. Media © Shutterstock
31CRUISER APRIL 2025KOLUMNEMICHI RÜEGGVON MICHI RÜEGGIn der Regel geben Wahlen in Deutsch-land hierzulande etwas mehr zu reden als solche in Österreich, Frankreich, Ita-lien oder gar Liechtenstein. Das mag auch damit zu tun haben, dass der letzte Welt-krieg einen seiner Ursprünge im Ergebnis der Parlamentswahlen von 1933 hatte. Da-mals erzielte die rechtsextreme NSDAP ihr bis dato bestes Ergebnis. Für eine Mehrheit reichte es damals nicht, aber die war dann auch nicht mehr nötig. Die Machtübernah-me selbst, die Ausschaltung der Opposition mit allem Drum und Dran, die ging weniger demokratisch über die Bühne.Nun hat abermals eine ziemlich rechts-extreme Partei in Deutschland ein gutes Er-gebnis geholt, die «Alternative für Deutsch-land», kurz «AfD». Hierzulande wird sie gerne als eine Art deutsche Version der SVP kleingeredet. Tatsächlich haben die beiden Parteien diverse Überschneidungen, doch schaut man genauer hin, pusht die AfD eben doch stärker nach rechts. Ausserdem hat die SVP bislang (mit wenigen personellen Aus-nahmen) nie für Hitlerdeutschland ge-schwärmt. In der AfD ist das vielerorts salon-fähig geworden.Dass extreme Rechtsparteien in Euro-pa an die Macht drängen und dabei auch noch Putin-freundlich sind, konnten wir nun verschiedentlich lesen. Interessant ist aber, was im Fall der AfD als Nebengleis über das Gay-Dating-Portal Romeo (ehe-mals Gayromeo) bekannt wurde. Die Platt-form hat bei ihren Usern in Deutschland eine Wahlumfrage gemacht. Und siehe da, 27,9 Prozent der Romeos gaben an, für die AfD zu stimmen. Also für eine Partei, die mit grossem Abstand eine der queerfeind-lichsten unter allen deutschen Parteien ist. Die Meldung liess aufhorchen, diverse Me-dien grien sie auf, nicht ohne den Versuch einer Einordnung. Kritisiert wurde die Me-thodik hinter der Befragung. Zwar nahmen über 60’000 User teil. Doch die Umfrage wurde eben nicht nach den gängigen Re-geln für repräsentative Wahlumfragen ge-macht. Ihr Ergebnis ist also zu einem gewis-sen Grad in Zweifel zu ziehen.Gleichwohl lassen sich die fast 28 Pro-zent AfD-Sympathien nicht einfach so weg-diskutieren. Doch so gerne ich mich darü-ber empören würde, sie passen etwas zu meinem Eindruck, den ich als langjähriges Romeo-Mitglied (mein Prol ging vor über 20 Jahren auf) in letzter Zeit gewonnen habe. Damals, als ich neu auf der Website war, hatte praktisch jeder ein Prol. Dann kamen Grindr und andere. Heute ist Grindr das schwule Instagram, während Romeo eine Art Facebook ist. Es ist die Plattform der übergangenen Landschwuppen im rei-feren Alter. Der Männer, die mit dem Wort «Queer» nichts anfangen können. Die sich nie recht emanzipieren mussten, sondern in einem Klima der mehr oder weniger desin-teressierten Toleranz gelebt haben. Einzig der eine oder andere rare Fe-tisch hat auf Romeo ein eigenes Dasein. Der Rest der deutschen Romeos hockt in irgend-welchen Kreisstädten, kratzt einmal pro Jahr die Kohle für den Gran-Canaria-Urlaub zu-sammen und schimpft wie der grosse Rest des Landes über die Regierung, in der an-geblich nur Deppen hocken, die das Volk nicht verstehen. Ja, viele schwule Männer sind nicht in erster Linie schwul, sondern eben Männer. Zumindest wollten sie es ihr ganzes Leben über sein. Dazu gehören. Und wenn nun eine Partei daherkommt, die den Mann wieder als Mann propagiert und die bösen Muslime, das neumodische Gender-Zeug und die Mischwesen mit ihren farbigen Haaren und lackierten Nägeln verteufelt – wieso denn nicht auch mit denen mitnicken?Unter dem Strich müssen wir mit der Erkenntnis leben, dass Schwulsein keine be-sondere Begabung ist. Und schon gar kein Superpower. Schwule Männer sind so intel-ligent, zuvorkommend und gutaussehend wie der Rest der Männer. Und leider auch genauso dumm, hässlich und boshaft. Und wenn man als schwuler AfD-Sympathisant doch letzte Zweifel hat, ob die politische Ge-sinnung zum eigenen Lebensstil passt, gibt’s Gott sei Dank ja noch die Lesbe Weidel: «Wenn die dat macht, mach ick dat ook.» Und siehe da, 27,9 Prozent der Romeos gaben an, für die AfD zu stimmen. Also für eine Partei, die mit grossem Abstand eine der queerfeindlichsten unter allen deutschen Parteien ist.Schwule Sympathien für RechtsIn Deutschland hat die rechte AfD einen Fünftel der Wählerstimmen gemacht. Hätten nur schwule Männer gewählt, wären es noch mehr gewesen.Ja, viele schwule Männer sind nicht in erster Linie schwul, sondern eben Männer.
32LISTICLE10 DINGE, DIE NUR SCHWULE MÄNNER VERSTEHEN 10 Dinge, die nur schwule Männer verstehen Vorsicht, Klischee-Alarm!» Natürlich ist die LGBT*-Community bunt und vielfältig. Aber gewisse Dinge tauche einfach immer wieder auf.324. Die Kunst des «Gaydar» Er trägt Ringe, gestikuliert viel und kennt alle Beyoncé- Lyrics? Verdächtig… aber sicher ist man erst, wenn er «Sashay away» richtig anwendet oder sich beim Wort «Megan» automatisch «Thee Stallion» hinzudenkt.2. Grindr vs. Realität «1,80 m athletisch» heisst eigentlich «1,72 m mit einem Proteinriegel in der Hand». Und das Sixpack aus dem Profilbild? Höchstwahrscheinlich ein Relikt aus dem letzten Sommerurlaub – oder Photoshop.1. Das ewige «Top oder Bottom»-Verhör Als wäre das die erste Frage, die jeder schwule Mann beantwortet, wenn er morgens aufsteht. Und nein, Sarah, es ist nicht das gleiche wie bei Steckern und Steckdosen. Manche Dinge bleiben einfach privat.Media © Shutterstock3. Die geheime Sprache der Emoji-Codes Wer’s nicht versteht, ist nicht eingeladen. Und nein, das -Symbol bei Grindr und Co. hat nichts mit einem Kochkurs zu tun.ANZEIGESchreinerstrasse 44 | 8004 Zürich | Telefon 044 291 39 90 | www.haargenau.chDeine fabelhafte LGBT*-friendly Hairstylistin freut sich auf deinen Besuch.
33CRUISER APRIL 2025LISTICLE10 DINGE, DIE NUR SCHWULE MÄNNER VERSTEHEN 33LISTICLEKURZ, KNACKIG & QUEER!8. Der ewige Kampf: Sixpack vs. Brunch Avocado-Toast oder Gym? Mimosas oder Proteinshake? Wer behauptet, man könne beides haben, lügt.7. Der peinliche Moment, wenn du einen Kerlaus Grindr triffst und dich nicht erinnerst Small Talk, nervöses Lächeln … und dann die Erkenntnis: Ihr habt definitiv schon mal geschrieben. Oder mehr. Plötzlich heisst es: «Sorry, war viel los» – aka «Ich hab dich geghostet, und jetzt ist es awkward.»schwulen Bar-Toilette.5. Das ewige Dilemma: Outfit oder Wetter? 5 Grad und Wind? Egal, der Look ist wichtiger. Lieber erfrieren als schlecht angezogen sein. Wir leiden gerne für die Mode – fragt einfach jede Dragqueen nach ihrer Erfahrung mit Heels auf Kopfsteinpflaster.6. Der feine Unterschied zwischen«twink», «otter» und «wolf» Warum gibt es in der Gay-Community eine halbe Zoologie-Vorlesung für Körpertypen? Und warum sind «Panda» und «Dachsbär» noch keine offiziellen Kategorien?10. Der Moment, wenn dich ein Hetero fragt,ob du schon mal eine Frau «probiert» hast – und wenn ja: wie es war. Und wenn nein: weshalb nicht. (Viel-leicht weil man Frauen nicht «probiert»)?Media © Shutterstock9. LGBT*-Events Du kennst 80 % der Leute… aber erinnerst dich nur an 50 % der Nächte – Und dann tauchen nach zwei Drinks wieder all die Ex-Dates auf, die du erfolgreich verdrängt hast.
34CRUISER SOMMER 2024RUBRIKENTITELRUBRIKENUNTERTITEL3434RATGEBERDR. GAYCRUISER APRIL 2025 drgay.ch drgay_official @drgay_officialBei Dr. Gay ndest du alles rund um das Leben in der Community: Sexualität, Beziehungen, Drogen und mehr. Dr. Gay ist ein Angebot der Aids-Hilfe Schweiz und fördert die Gesundheit von schwulen, bi & queeren Männern, sowie trans Personen durch Präventionsarbeit mit der Community.Mehr Infos zum Thema «Reden wir über uns» gibt es hier:Kann es einen gesundheitlichen Nachteil haben, wenn man beim Analsex (ohne Kondom) Speiseöl (z.B. Olivenöl, Rapsöl, Kokosöl...) als Gleitmittel be-nutzt? Ist das schädlich für Penis oder Darmora? Falls ja, gibt es bestimmte Öle, die un-problematisch sind? Roberto (33)Hallo RobertoSpeiseöle als Gleitmittel können den PH-Wert der (Schleim-)Haut stören und somit Pilzinfektionen fördern. Ölivenöl kann zu-dem die Poren verstopfen. Eine Ausnahme scheint hier Kokosöl zu sein. Wenn Aller-gien vorhanden sind, kann es bei allen Mit-teln Ausschlägen, Juckreiz usw. kommen. Dies ist aber von Person zu Person unter-schiedlich. Wenn ihr Speiseöl als Gleitmit-tel verwenden möchtet, wascht den Intim-bereich nach dem Sex besonders gründlich, so dass keine Ölreste zurückbleiben. Be-denke bitte auch, dass Öle und andere fett-haltige Mittel beim Gebrauch von Kondo-men ungeeignet sind, weil sie das Material des Kondoms porös und brüchig machen, wodurch das Kondom leichter reissen kann. Am besten verwendest du wasserbasiertes oder silikonhaltiges Gleitgel. Dieses eignet sich sowohl für Anal- wie auch für Vaginal-verkehr am besten.Alles Gute, Dr. GayIch hatte passiven Analverkehr mit Kondom. Dabei ist leider das Kondom gerissen. Mein Partner hat seinen Penis direkt rausgezogen und auch nicht abgespritzt. Kann ich trotzdem Krankheiten bekommen? Dominik (44)Hallo DominikWenn beim Analverkehr das Kondom reisst, kann das ein HIV-Risiko bedeuten, auch wenn nicht abgespritzt wird. Für die Risikoeinschätzung ist u.a. die Dauer der Exposition relevant. Diese scheint bei dir kurz gewesen zu sein. Trotzdem kann ein HIV-Risiko nicht ausgeschlossen werden. Für solche Fälle gibt es die sogenannte PEP (Post-Expositionsprophylaxe). Das ist eine erapie, welche eine mögliche HIV-Infek-tion im Nachhinein verhindern kann. Sie dauert 30 Tage. Voraussetzung ist, dass da-mit spätestens 48 Stunden nach der Risiko-situation begonnen wird. Je früher, desto grösser die Erfolgschancen. Wenn das bei dir der Fall ist, wende dich bitte sofort an eine Notfallstelle oder einen Checkpoint. Mehr Informationen zur PEP ndest du un-ter drgay.ch/pep. Sollten die 48 Stunden be-reits verstrichen sein, kann dir ein HIV-Test nach 6 Wochen ein zuverlässiges Resultat bieten. Bedenke bitte auch, dass andere sexuell übertragbare Infektionen (STI) wie z.B. Syphilis oder Tripper bei fast allen se-xuellen Praktiken übertragen werden kön-nen. Kondome bieten diesbezüglich keinen zuverlässigen Schutz. Das Wichtigste zu HIV, anderen STI und wie du dein Risiko beim Sex verkleinern kannst, steht auf drgay.ch. Alles Gute, Dr. Gay
drgay.ch drgay_official @drgay_officialMehr Infos zum Thema «Reden wir über uns» gibt es hier:
Zürich: 29.4. — 8.5.25Frauenfeld: 9.5. — 11.5.25 ––Filme aufsaugen!pinkapple.chVVK: 17.4.2025