Message SEIT 1986 DAS ÄLTESTE QUEERE MAGAZIN DER SCHWEIZ – MAI 2024 CHF 8.10KUNST, KULTUR & LEBENSSTIL FÜR DIE LGBT*-COMMUNITYcruiser4 Historisches Horror-Dating Friedrich Haarmanns schauriges Vermächtnis10 Schwule im Fitnessfieber Auf der Jagd nach dem ultimativen Grindr-Profilbild21 Binden oder Daten? Auf der Suche nach der Liebe
4 GESCHICHTE FITZ HAARMANN 10 GESELLSCHAFT KÖRPERKULT 14 CRUISER EMPFIEHLT GIRLI: MEHR ALS NUR PROVOKATIV15 KULTUR BUCHTIPP 116 SZENE INTERVIEW ANGELS19 KOLUMNE MICHI RÜEGG20 CRUISER EMPFIEHLT JUKEBOX-HEROES: NOSTALGIE PUR21 SERIE HOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE UND LITERATUR25 GESELLSCHAFT CHEMSEX29 KULTUR KAMMERSPIELE SEEB32 KULTUR BUCHTIPP 233 CRUISER EMPFIEHLT STOFFWECHSEL BALLETT34 RATGEBER DR. GAY EDITORIALLiebe Lesende! In der neuesten Ausgabe vom Cruiser feiern wir die Vielfalt und die Bedeutung der Kultur innerhalb der LGBT*-Community. Kultur – in all ihren Formen – ist das Herzstück unserer Identitäten und Erfahrungen. Von den emotionalen Inszenierungen im Theater Basel über die innovativen Produktionen der Kammerspiele Seeb bis hin zu den kraftvollen Aufführungen im Schauspielhaus Zürich: In dieser Ausgabe ist alles für alle dabei. Ein dunkleres Kapitel unserer Geschichte beleuchten wir durch die Aufarbeitung von Fritz Haarmanns Taten. Bekannt als «Der Vampir», «der Schlächter», «der Kannibale» und «der Werwolf», erinnert uns seine Geschichte an die Schattenseiten, die unsere Com- munity – die es damals noch nicht gab – in den 1920er-Jahren erleben musste. Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns von Astrid, unserer langjährigen Art-Designerin und Grafikerin. Astrid hat über die Jahre hinweg das visuelle Erscheinungsbild des Cruisers massgeblich mitgeprägt, die Texte kritisch auf Länge und Inhalt hin überprüft und stets die Ruhe bewahrt, wenn in der Redaktion mal wieder das Chaos ausgebrochen ist. Vielen Dank, liebe Astrid, für deinen unermüdlichen Einsatz und deine Geduld! Nun heisst es Vorhang auf für Lili, die in Astrids Fussstapfen treten wird. Lili weiss bereits, dass es in der Redaktion nicht lange ruhig bleiben wird und hat bereits in der Vergangenheit beweisen, dass sie damit souverän umgehen kann. Ein weiteres Thema, dem wir uns widmen, ist die Obsession innerhalb der schwulen Community, einen perfekten Körper zu haben. Unsere Recherche zeigt, dass dieses Phänomen tief in der Geschichte der Gays verwurzelt ist.Und nun – viel Spass beim Lesen dieser Frühlingsausgabe! Herzlich; Haymo & BirgitChefredaktion CruiserCRUISER MAGAZIN PRINTISSN 1420-214x (1986 – 1998) | ISSN 1422-9269 (1998 – 2000) | ISSN 2235-7203 (Ab 2000) Herausgeber & Verleger medienHay GmbHInfos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.chChefredaktor Haymo Empl Stv. Chefredaktorin Birgit Kawohl Bildredaktion Haymo Empl Alle Bilder mit Genehmigung der Urheber*innen.Art Direktion Lili WagnerAgenturen SDA, KeystoneAutor*innen Vinicio Albani, Haymo Empl, Birgit Kawohl, Michi Rüegg, Alain SorelKorrektorat | Lektorat Birgit KawohlAnzeigen anzeigen@cruisermagazin.chChristina Kipshoven | Telefon +41 (0)31 534 18 30Druck werk zwei Print+Medien Konstanz GmbHREDAKTION UND VERLAGSADRESSECruiser | Clausiusstrasse 42, 8006 Zürichredaktion@cruisermagazin.chHaftungsausschluss, Gerichtsstand und weiterführende Angaben auf www.cruisermagazin.ch Der nächste Cruiser erscheint am 3. Mai 2024Unsere Kolumnist*innen widerspiegeln nicht die Meinung der Redaktion. Sie sind in der Themenwahl, politischer /religiöser Gesinnung sowie der Wortwahl im Rahmen der Gesetzgebung frei. Wir vom Cruiser setzen auf eine grösst mögliche Diversität in Bezug auf Gender und Sexualität sowie die Auseinandersetzung mit diesen Themen. Wir vermeiden darum sprachliche Eingriffe in die Formulierungen unserer Autor*innen. Die von den Schreibenden gewählten Bezeichnungen können daher zum Teil von herkömmlichen Schreibweisen abweichen. Geschlechtspronomen werden ent spre chend implizit eingesetzt, der Oberbegriff Trans* beinhaltet die ent- sprechenden Bezeichnungen gemäss Medienguide «Transgender Network Schweiz».Cruiser wurde als einzige LGBT*-Publikation als «kulturell relevant» eingestuft und wird daher in der Schweize rischen Nationalbibliothek, der ZB Zürich sowie in der deutschen Nationalbibliothek archi viert. Cruiser ist zudem via SMD (schweizerische Mediendatenbank) allen Medienschaffenden zugänglich.Rafael ist ein Mann mit Herz. Damit dies gesund bleibt, trainiert er viel. Ob er auch schon den Einen fürs Herz gefunden hat, wissen wir allerdings nicht. IMPRESSUM
4CRUISER MAI 2024VON BIRGIT KAWOHLDeutschland in den Anfangsjahren der Weimarer Republik: Die junge Republik muss Krisen an verschie-denen Fronten bewältigen und kommt nur schwer zur Ruhe. Die politischen Parteien kämpfen in den zahlreichen Wahlen um jede Stimme und decken das komplette Spektrum von rechts bis links ab. Auch wenn es «moderne» Kräfte wie die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) gibt, ist ein Grossteil der Menschen immer noch im Kaiserreich verhaftet und trauert der alten Ordnung nach. Dann kommt das so genannte «Krisenjahr 1923», ein Jahr, in dem es an mehreren Stellen «knallt». Grundsätzliche Ursache für die verschiede-nen Probleme ist der verlorene Erste Welt-krieg, in den deutsche Soldaten im Jahr 1914 voll Zuversicht und Überzeugung gezogen sind. Die Parole «Zum Frühstück nach Paris», die man an diversen Eisenbahnwag-gons lesen konnte, war sinnbildlich ge-meint, glaubte man doch an einen Blitzsieg über die (verachteten) Franzosen, um dann itzeink die Armee gen Osten zu wenden, wo man möglichst ebenso schnell die Rus- sen schlagen wollte. Aber dann kam alles Bild © Adobe StockAuch wenn Haarmann hauptsächlich im städtischen Umfeld aktiv war, dunkle Wälder und wabernder Nebel erzeugen eine geisterhafte Stimmung, die schnell an Mord und Totschlag denken lässt.… warte, warte nur ein WeilchenAnfang der 1920er-Jahre verschwanden in Hannover immer mehr männliche Jugendliche. Die Polizei tat sich mit der Aufklärung der Verbrechen gehörig schwer.GESCHICHTEFRITZ HAARMANN4
5CRUISER MAI 2024anders: Die Franzosen wehrten sich (völlig überraschend) und liessen die Deutschen in einem jahrelangen Stellungskrieg verhar-ren, im Osten konnten zwar vereinzelte Sie-ge eingefahren werden, so z. B. zu Beginn des Krieges in der Schlacht von Tannen-berg, letztendlich gaben sich die Russen aber auch nicht einfach so geschlagen und schickten immer neues «Menschenmateri-al» in die unmenschlichen Kämpfe. Man darf nicht vergessen, dass dies der erste Krieg war, in dem gezielt eine Luftwae zum Einsatz kam und vor allem – was be-sonders fatale Konsequenzen hatte – keine Seite vor dem Einsatz von Giftgas zurück-schreckte.Vom Krieg zum FriedenDie Soldaten an der Front, die bei Wind und Wetter in ihren Schützengräben vor sich hinvegetierten, waren zwar mit Gasmasken ausgestattet. Diese boten aber keinen voll-umfänglichen Schutz, sodass es neben Ver-stümmelungen oftmals zum Tod durch Giftgas kam, was eine besonders brutale Art zu sterben ist (weswegen die Genfer Kon-ventionen den Einsatz von Giftgas auch ver-bietet). Als die Lage im Jahr 1918 oensicht-lich honungslos ist und auch die (Marine-)Soldaten beginnen zu meutern, wird die bedingungslose Kapitulation beschlossen. Der anschliessend von den Alliierten ohne Mitsprache der Deutschen beschlossene Friedensverstrag (Versailler Vertrag) ent-hält harte Bedingungen in Bezug auf die zu zahlenden Reparationskosten (nahezu für ein vom Krieg gebeuteltes Land nicht zu stemmen) und vor allem auch die den Deut-schen angelastete alleinige Kriegsschuld (nicht ganz zu Unrecht). Dass ein Mitglied der SPD diesen später immer wieder vor al-lem von Hitler und seiner Partei, der NS-DAP, kritisierten Vertrag unterschrieb (ei-gentlich müsste man sagen, unterschreiben musste), bietet reichlich Angrisäche ge-gen die Sozialdemokraten, denen man vor-wirft, der zum Sieg fähigen Armee den Dolch von hinten in den Rücken gerammt zu haben (Dolchstoss-Legende). Dass dies so überhaupt nicht stimmt, macht die Pro-paganda nicht wirkungsloser. ➔Der erste Krieg, in dem gezielt eine Luftwaffe zum Einsatz kam und keine Seite vor dem Einsatz von Giftgas zurückschreckte. IHR GÜNSTIGER ONLINE-WEINKELLERRocca RubiaCarignano del Sulcis DOC Jahrgang 2019*Traubensorte: Carignano150 clje Flasche CHF37.90Konkurrenz- vergleich 49.– Bestelleinheit 1 FlascheBequem. Online. Bestellen.ONLINEje Flasche CHF16.95Konkurrenz- vergleich 24.90 Bestelleinheit 6 FlaschenBaigorri Reserva MagnumRioja DOCaJahrgang 2017*Traubensorte: Tempranillo 150 clje Flasche CHF59.–Konkurrenz- vergleich 75.–Bestelleinheit 1 FlascheCrognoloToscana IGPJahrgang 2020*Traubensorten: Sangiovese, Cabernet Sauvignon, Merlot75 clje Flasche CHF9.95statt 16.90 Bestelleinheit 6 FlaschenLAN ReservaRioja DOCaJahrgang 2016*Traubensorten: Tempranillo, Graziano75 clje Flasche CHF13.95Konkurrenz- vergleich 21.80 Bestelleinheit 6 FlaschenAldegheri Il Groto Rosso Veronese IGTVeronese IGPJahrgang 2018*Traubensorten: Corvina, Rondinella, Dindarella, Croatina75 clje Flasche CHF12.95Konkurrenz- vergleich 16.50 Bestelleinheit 6 FlaschenGallinas y FocasPrimitivo di Mallorca VdTJahrgang 2019*Traubensorten: Manto Negro, Syrah 75 clje Flasche CHF24.95Konkurrenz- vergleich 32.– Bestelleinheit 6 FlaschenLeo Hillinger BlaufränkischBurgenlandJahrgang 2020*Traubensorte: Blaufränkisch75 clMagnumMagnumottos.chCruiser_3_5_105x280_webwein.indd 1Cruiser_3_5_105x280_webwein.indd 1 04.04.24 14:3504.04.24 14:35ANZEIGE
6CRUISER MAI 2024Das «Krisenjahr 1923» Im Jahr 1923 kommt nun einiges zusam-men: Die Reparationszahlungen sind un-leistbar und sollen zum Teil aus dem Ruhr-gebiet bedient werden. Nun wird den dortigen Arbeitern ein Streik befohlen, um vor allem die Franzosen zu schädigen. Die Lohnausfälle übernimmt der Staat, der da-für neues Geld druckt. Folge davon ist – man ahnt es schon – eine Hyperination. Das Geld ist so wenig wert, dass man damit die Wände tapeziert, weil man sich eine Tapete nicht leisten kann. Der Wert von Geldschei-nen wird einfach überstempelt, ein Druck neuer Scheine ist schlicht zu teuer. Diese wirtschaftliche Krise wird schnell zu einer politischen Krise, aus der verschiedenen Gegner der Republik Prot schlagen wollen. Da ist vor allem Adolf Hit-ler zu nennen, der mit seinem geplanten «Marsch auf Berlin», als Analogie zu Musso-linis Marsch auf Rom, von München aus die Regierung stürzen will. Der Plan geht zwar nicht auf, aber die Unruhe in der Bevölke-rung steigt und das Vertrauen in die Demo-kratie sinkt.Und eben genau zu dieser Zeit, die von Unruhe, Hunger, Armut, Hilosigkeit und Depressionen bestimmt ist, beginnen in Hannover, das damals bereits etwa 450 000 Einwohner zählte, Jungen bzw. männliche Jugendliche (die meisten sind um die 16 Jahre alt) zu verschwinden. Verzweifelte El-tern wenden sich an die Polizei, die die Ver-misstenmeldungen zwar aufnimmt, aber irgendwie keinen Ansatz ndet, dem oder den Täter*innen auf die Spur zu kommen.Sind es Morde im «Milieu»?Da sich das Vermisstenklientel aber auf männliche Jugendliche eingrenzen lässt, kommt bald die Vermutung auf, dass es sich um Morde im Homosexuellenmilieu han-deln muss. Dies macht die Aufklärung nicht gerade einfacher, denn so oen sich die Weimarer Republik an manchen Stellen auch gegenüber Queers zeigt, durchgesetzt haben sich Toleranz und Verständnis die-sen gegenüber noch überhaupt nicht. Im Gegenteil: Was in Berlin vielleicht zum All-tag und vor allem zu den Nächten dazuge-hört: das gleichgeschlechtliche Küssen und Händchenhalten, geschminkte Männer, Frauen mit Bubikopf und Hosen, ist in Städ-ten wie Hannover – auch wenn es sich mit Abstand um keine Kleinstadt handelt, die zudem gar nicht so weit von Berlin entfernt ist – (männliche) Homosexualität noch ein grosses Tabuthema.Dementsprechend schwer fällt es den zuständigen Kommissaren auch, hier Nach-forschungen anzustellen und Informatio-nen zu bekommen. Auch wenn die Polizei relativ schnell einen Homosexuellen als Tä-ter vermutete und die Namen von in Frage kommenden Männern durchging (in Han-nover zählte das Schwulen-Register rund 30 Namen), war dieser Umstand eine Belas-tung für die Untersuchung. Alleine, den ver-zweifelten Eltern die Frage nach einer mög-lichen Homosexualität ihres Sohnes zu stellen - «Hat ihr Junge den Jungs lieb?» - ist nahezu unmöglich und wird, sollte die Fra-ge wirklich gestellt worden sein, nicht unbe-dingt wahrheitsgemäss beantwortet. Dies geschieht nicht immer unbedingt aus bö-sem Willen, nein, meist ist es den Eltern zu peinlich oder aber sie wissen gar nichts von dieses Neigung ihres Sohnes. Noch dazu ist die Vorstellung für viele Eltern viel zu grau-sam, sich diesem doppelten Urteil zu stel-len: der eigene Sohn schwul und einem Se-xualdelikt zum Opfer gefallen.Zwei Dutzend OpferLetztendlich geht man von vermeintlichen 24 Opfern eines Täters aus, das sind zumin-dest die Fälle, die man im Jahr 1924 Fritz Haarmann nachweisen konnte und für die er zum Tode verurteilt wurde. In den Wirren der Zeit ist es aber nicht unmöglich, dass sich Haarmann an noch mehr Jungen ver-grien hat. Manche Eltern haben ihre Söh-ne vielleicht gar nicht vermisst, denn die katastrophale wirtschaftliche Lage, in der sich Deutschland befand, brachte viele jun-ge Menschen dazu, das Land zu verlassen, um z. B. in Amerika ein besseres Leben zu nden. (Kleiner Seitenhieb: Das sollten sich einmal all diejenigen durch den Kopf gehen lassen, die heutzutage Migranten veru-chen und dahin zurückschicke wollen, wo sie herkommen.) So zogen die Jugendlichen mit ein paar wenige Habseligkeiten weg von zu Hause und meldeten sich nicht mehr. Sollten sie es nach Amerika geschat ha-ben, wäre das auch nicht unwahrschein-lich, denn die damalige Infrastruktur ist überhaupt nicht mit unserer heutigen ver-gleichbar. Diese paar wenigen Habseligkeiten oder manchmal auch nur das, was sie am Leibe trugen, liessen die Jugendlichen zu einem Opfer Haarmanns und seines Kom-pagnons Hans Grans, der sich vor allem als Hehler und Händler hervortat, werden. Wie Letztendlich geht man von vermeintlichen 24 Opfern eines Täters aus, das sind zumindest die Fälle, die man im Jahr 1924 Fritz Haarmann nachweisen konnte.GESCHICHTEFRITZ HAARMANN6Genau zu dieser Zeit, die von Unruhe, Hunger, Armut, Hilflosigkeit und Depressionen bestimmt ist, beginnen in Hannover männliche Jugend- liche zu verschwindenEine typische Banknote der Weimarer Republik in den Jahren 1923 / 1924. Für diese konnte man Anfang der Woche vielleicht noch ein Brot kaufen, am Ende der Woche reichte sie nicht mal mehr für eine Scheibe davon.Bilder © Adobe Stock / Wikipedia
kann man sich Haarmanns Vorgehen vor-stellen? Schliesslich war die Gesellschaft nach dem Verschwinden der ersten Jungs alarmiert und aufgerüttelt. Es breitete sich grosse Unsicherheit aus, der Polizei wurde Untätigkeit bzw. Unfähigkeit vorgeworfen, weil auch nach den ersten Vermisstenmel-dungen immer mehr Jugendliche ver-schwanden und man nicht mal den Hauch einer Spur hatte.Die Jungs gingen zunächst freiwillig mit HaarmannFritz Haarmann, 1879 in Hannover gebo-ren, Schlosserlehre, Besuch einer Untero-ziersschule, Polizeispitzel, aber auch als unheilbar schwachsinnig eingeschätzt und damit vom Ersten Weltkrieg ausgeschlos-sen, führte lange Zeit ein relativ unbemerk-tes Leben als Kleinkrimineller. Selbst ein Gefängnisaufenthalt machte ihn für die Po-lizei nicht sofort zu einem Verdächtigen. Haarmann war wie ein glitschiger Fisch, der einem immer wieder entgleitet. Zwar hatte er eine mehrjährige sexuelle Bezie-hung mit einem Kleinkriminellen, anderer-seits konnte er zwei gescheiterte Verlöbnis-se vorweisen, was ihn nicht sofort als einen lupenreinen «175er» abstempelte. Zudem muss er wohl eine durchaus ansprechende Art gehabt haben, in seiner Wohnung wurde häug gefeiert und die Jungs gingen (zunächst) freiwillig mit ihm nach Hause. Obwohl man dieses «freiwil-lig» etwas abschwächen muss, auch wenn der Zwang nicht direkt von Haarmann, aber sicher von den Lebensumständen ausging. Vielfach handelte es sich ja um Ausreisser, die aus Heimen und schwierigen Elternhäu-sern, vor Armut und Honungslosigkeit auf der Flucht waren. Kam dann ein kalter und ungemütlicher Abend, eine Nacht, in der kein warmes Bett, kein Dach über dem Kopf zur Verfügung stand, liess man sich schnell auf die Avancen des nicht unsympathisch wirkenden Haarmanns ein. Kontaktauf- ➔ GESCHICHTEFRITZ HAARMANNParagraph 175 des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB) kriminalisierte über 123 Jahre Homo- sexualität und legitimierte staatliche Verfolgung von schwulen und bisexuellen Männern. Im Falle von Fritz Haarmann konnte fatalerweise dieser Paragraph nicht angewandt werden, da er zwei Verlöbnisse vorweisen konnte und er dadurch dem Arm des Gesetzes entkommen konnte. (Es wäre wohl das einzige Mal gewesen, wo die Anwendung dieses Paragraphen Sinn gemacht hätte.)7Zudem muss er wohl eine durchaus ansprechende Art gehabt haben, in seiner Woh-nung wurde häufig gefeiert und die Jungs gingen (zunächst) freiwillig mit ihm nach Hause.Haarmann war wie ein glitschiger Fisch, der einem immer wieder entgleitet.ANZEIGEGemeinsam für einen respektvollen Umgang mit der Natur. Jetzt aktiv werden: greenpeace.ch/dreampeaceUNSER TRAUM:EIN PLANET OHNEÜBERKONSUM.
GESCHICHTEFRITZ HAARMANN830 TableenPrEP für 50 CHFIm Webshop oder direkt in der Apotheke!Seminarstr. 1 8057 Zürich 044 361 61 61www.swissprep.ch→nahme erfolgte entweder in der Wartehalle des Bahnhofs oder aber in einschlägigen Lokalitäten wie dem «Café Kröpcke». Hatte Haarmann dann den Jungen erst einmal in seine Wohnung gebracht, gab es kein Ent-kommen mehr. Nach oder auch während des sexuellen Kontakts biss Haarmann sei-nem Opfer die Kehle durch. Anschliessend zerlegte er die Körper, entsorgte Fleisch und Knochen zum Teil in Flüssen oder der Ka-nalisation, Teile wurden eventuell auch als Tiereisch verschachert. Der Hunger war in dieser Zeit so gross, dass nicht intensiv nachgefragt wurde, woher Fleisch kam, wenn man es günstig angeboten bekam. Sprunghafter Anstieg der Verurteilun-gen nach § 175Deswegen konnte auch die Kleidung der Getöteten so einfach weiterverkauft wer-den. Mit Hans Grans hatte Haarmann einen geschickten Mittäter, der sich im entspre-chenden Milieu gut auskannte.Mit der Verhaftung und Verurteilung Haarmanns wurde einer der schlimmsten Serienmorde aufgeklärt, was auch in den folgenden Jahren seine Auswirkungen zeig-te (und wodurch Vorurteile beügelt, ver-stärkt und manifestiert wurden). Nach 1924, dem Jahr des Haarmann-Prozesses, stiegen nämlich die Verurteilungen nach § 175 sprunghaft an, der Spitzenwert wurde im Jahr 1927 erreicht. Schnell kam die Mei-nung auf, dass solche Straftaten nur im «kranken» Milieu der Homosexuellen pas-sierten konnten. Jeder, von dem man mein-te, er sei «am 17.5. geboren», damals eine gängige Umschreibung für homosexuelle Neigungen, galt schnell als verdächtig. Man möchte nicht wissen, zu wie vielen Rufmor-den es in der Zeit nach dem Haarmann-Prozess kam und wie viele unschuldige Männer irgendwelcher (absurder) Strafta-ten bezichtigt wurde.Kulturelles NachlebenSpäter wurde Haarmann dann zu einer Art kultureller Sensation, wie man u. a. am un-tenstehenden «Haarmann-Lied» ablesen kann, das zu gehöriger Popularität gelang-te und sogar Anfang der 1960er-Jahre vier Wochen in den Top 10 deutschen Single-Charts stand.Die Faszination zieht sich aber noch weiter. Hier nur ein paar Beispiele: Im Jahr 1995 verlmt Romuald Karmaker die Befra-gung Haaarmanns durch Arzt und Polizei mit dem kongenialen Götz George in der Hauptrolle unter dem Titel «Der Totma-cher«, im Jahr 1973 hat sich schon Ulli Lom-mel in «Zärtlichkeit der Wölfe» diesem e-ma gewidmet und selbst in jüngerer Zeit nden sich Reminiszenzen an Haarmann und seine Taten, z. B. in dem Song «Puppen-junge» aus dem Jahr 2018 der Band Ost + Front oder auch die gelungene Verarbeitung des Stoes in der Graphic Novel «Haar-mann» von Peer Meter und Isabel Kreitz aus dem Jahr 2010.Gerade in dem Film «Der Totmacher» wird versucht, sich der Person Haarmann zu nähern, um zu verstehen, was in diesem Mann vor sich gegangen sein mag. Waren es seine einigermassen beschränkten kogniti-ven Fähigkeiten, war es seine Jugend, die selbst von Missbrauch und Missachtung ANZEIGEJeder, von dem man meinte, er sei «am 17.5. geboren», damals eine gängige Umschreibung für homosexuelle Neigungen, galt schnell als verdächtig.Nach oder auch während des sexuellen Kontakts biss Haar-mann seinem Opfer die Kehle durch.LITERATURDirk Kurbjuweit: Haarmann. Penguin 2021.Preis CHF 18.90ISBN 978-3-328-10743-9.Bild © Adobe Stock
CRUISER MAI 2024geprägt waren? Letztendlich wird man die-sem Geheimnis nicht mehr auf die Spur kommen, sicher ist nur, dass die Serien-morde der damaligen schwulen Communi-ty doppelten Schaden zugefügt hat: zum einen durch die Opfer, zum anderen durch die entstandenen Vorurteile.Das «Haarmann-Lied» (gesungen auf die Melodie von Walter Kollos Opern-Klassi-kers «Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt auch das Glück zu dir», was natürlich wie ein Hohn anmutet) 1. und 3. Strophe:Warte, warte nur ein Weilchen,bald kommt Haarmann auch zu dir,mit dem kleinen Hackebeilchen,macht er Schabeeisch aus dir.Aus den Augen macht er Sülze,aus dem Hintern macht er Speck,aus den Därmen macht er Würsteund den Rest, den schmeißt er weg.(2. Strophe)In Hannover an der Leine,Rote Reihe Nummer 8,wohnt der Massenmörder Haarmann,der schon manchen umgebracht.Haarmann hat auch ein’ Gehilfen,Grans hieß dieser junge Mann.Dieser lockte mit Behagenalle kleinen Jungen an. (Zurück zur 1. Strophe; danach Schluss.) FRITZ HAARMANN IN DER SCHWEIZ Über Fritz Haarmanns Zeit in Zürich sind die Informationen begrenzt. Nach seiner ersten Einweisung in eine Heilanstalt und den daraus resultierenden traumatischen Erfahrungen floh Haarmann für eine kurze Zeit in die Schweiz. Dieser Schritt war Teil seines Versuchs, einem Leben zu entkommen, das bereits von persön- lichen und rechtlichen Problemen geprägt war. In der Schweiz hielt er sich jedoch nicht lange auf und kehrte 1899 nach Deutschland zurück. Es gibt keine detaillierten Aufzeichnungen darü-ber, was Haarmann während seines Aufenthalts in der Schweiz genau tat oder wie er seinen Lebensunterhalt bestritt. Seine Zeit dort bleibt ein weniger dokumentierter Abschnitt seines Lebens, bevor er zu einer der bekanntesten Figuren in der deutschen Kriminalgeschichte wurde.MORDEN KONNTEN AUCH ANDERE Fritz Haarmann war und ist nicht der einzige Serienmörder. Wir haben recherchiert und sind auf folgende tragische Fälle gestossen:Ja, es gab und gibt Serienmörder, die spezifisch homosexuelle Männer als Opfer auswählten. Diese Fälle sind besonders tragisch, da sie oft nicht nur von den individuellen Pathologien der Täter zeugen, sondern auch von den gesell-schaftlichen Bedingungen, die es den Tätern ermöglichten, innerhalb bestimmter Gemein-schaften unbemerkt zu bleiben oder ihre Opfer aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gezielt auszuwählen. Einige bekanntere Fälle sind:1. Jeffrey Dahmer Einer der bekanntesten Serienmörder der USA, der zwischen 1978 und 1991 mindestens 17 jungen Männern und Jungen das Leben nahm. Viele seiner Opfer waren homosexuell. Dahmer lockte sie mit dem Versprechen auf Geld oder Sex in seine Wohnung, wo er sie ermordete und teilweise ihre Leichenteile als Trophäen behielt.2. John Wayne Gacy Bekannt als der «Killer Clown», ermordete er in den 1970er Jahren 33 junge Männer und Jun-gen. Gacy lockte seine Opfer, oft Teenager und junge Männer, zu sich nach Hause unter Vor- wänden wie der Aussicht auf Arbeit, und viele von ihnen waren Teil der LGBT*-Gemeinschaft.3. Bruce McArthurEin kanadischer Landschaftsgärtner, der zwi-schen 2010 und 2017 acht Männer ermordete, die meisten davon waren Teil der LGBT*-Gemein- schaft in Toronto. McArthur nutzte Dating-Apps für schwule Männer, um seine Opfer zu finden.4. Stephen Port Ein britischer Serienmörder, bekannt als der «Grindr-Killer», der zwischen Juni 2014 und September 2015 vier junge Männer ermordete. Er traf seine Opfer über Online-Dating-Apps für homosexuelle Männer.Diese Fälle unterstreichen die Notwendigkeit eines besseren Schutzes und einer stärkeren Sensibilisierung für Mitglieder der LGBT*-Ge-meinschaft, insbesondere in Bezug auf die Gefahren, die von Online-Dating und sozialen Begegnungen ausgehen können. Sie werfen auch ein Licht auf die tief verwurzelten sozialen Stigmen, die es Tätern erlauben, gezielt und manchmal unauffällig innerhalb spezifischer Gemeinschaften zu operieren. Der «Grindr-Killer» hat vier Leben auf dem Gewissen.Sicher ist nur, dass die Serien-morde der damaligen schwulen Community doppelten Schaden zugefügt hat: zum einen durch die Opfer, zum anderen durch die entstandenen Vorurteile.
10GESELLSCHAFTKÖRPERKULTVon Göttern zu Grindr: Die Evolution des schwulen IdealkörpersProteinshakes und das Gym als Tempel der Schwulen. Führt der Weg zum Glück über den perfekt definierten Bizeps?VON HAYMO EMPLIn einer Welt, in der das Spiegelbild nicht als nur eine Reexion ist, sondern ein Ticket zu Anerkennung und Zugehörig-keit, erkunden wir das komplexe Netz aus Geschichte, Kultur und persönlichen Ge-schichten hinter dem Muskelkult in der schwulen Community. Natürlich gehört dieser Artikel in die Mai-Ausgabe vom Cruiser. Denn spätestens jetzt muss am Bilder © Adobe Stock Sommer-Body für die Badi-Saison gearbei-tet werden. Obschon: der schwule Muskel-mann eigentlich ja das ganze Jahr über im Gym verweilt. Die Wurzeln – Ein prähistorischer MuskelkultZu Beginn lohnt es sich, die prähistorischen Ursprünge des Muskelkults zu betrachten. Anders ausgedrückt: Wir gucken zurück… Die Höhlenmalereien, die robuste Figuren mit speerwerfenden Armen zeigen, könnten die ersten Manifestationen des Ideals sein. Wir beim Cruiser vermuten ja, dass es sei-nerzeit mit der Heterosexualität nicht ganz so genau genommen wurde. Man schnapp-te sich, was man kriegen konnte. Mal mit Toni, mal mit Vroni... Diese Darstellungen CRUISER MAI 202410
11CRUISER MAI 2024GESELLSCHAFTKÖRPERKULTder starken Männer entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte und spiegeln die menschliche Faszination für Stärke und Schönheit wider. Interessant ist, dass Studi-en wie die von ompson und Cafri (2007) zeigen, dass die Bewunderung für körperli-che Kraft und Fähigkeit ein zentrales Ele-ment sozialer Hierarchien und individuel-ler Fitnessstrategien war.In der Antike, wo muskulöse Körper nicht nur als Hingucker dienten, sondern quasi als persönliche Visitenkarte in Stein gemeisselt wurden gingʼs dann so richtig los mit dem Körperkult. Skulpturen von Herkules und Co. vermittelten damals schon, dass ein Waschbrettbauch mehr über den Charakter aussagt als jedes philo-sophische Traktat.Springen wir dann munter in die Re-naissance, als Künstler wie Michelangelo den muskulösen Männerkörper neu ent-deckten. Plötzlich waren anatomische Stu-dien völlig hip und jede*r wollte sein eige-nes Stück vom idealisierten Körperkuchen abbekommen. Der Muskelkult erfuhr eine künstlerische Wiederbelebung, die den Grundstein für spätere Entwicklungen legte.Im 20. Jahrhundert kam dann die Ver-bindung von Muskelmasse und schwulem Stolz richtig in Mode. Der trainierte Körper wurde zum ultimativen Ausdruck von Selbstakzeptanz und Widerstand gegen die Unterdrückung. Jede Muskelgruppe schien zu schreien: «Seht her, ich bin hier, ich bin queer, und ich kann verdammt gut Dinge wie Gewichte und was es sonst noch gibt heben!»Als dann die AIDS-Krise die Bühne betrat, gewann der Muskelkult eine weitere, düstere Facette. Dann kam AIDS Der Cruiser diente als wesentliche Infor-mationsquelle während der verheerenden AIDS-Krise, die die schwule Community schwer traf. In den 1980ern, einer Zeit ohne das heutige Internet, berichtete Cruiser re-gelmässig über wichtige Entwicklungen, unterstützt von Initiativen wie der Aidshil-fe; beispielsweise mit dem Hot Rubber. Ein Kondom, welches «diskret» per Post bestellt werden konnte. Eine damals revolutionäre Idee. Roger Staub, ein anerkannter Schwei-zer AIDS-Experte und mitbegründer AIDS-Hilfe Schweiz, lieferte regelmässig Updates zu neuesten Forschungen aus den USA. ➔In der Antike, wo muskulöse Körper nicht nur als Hingucker dienten, sondern als persönliche Visitenkarte in Stein gemeisselt wurden gings dann so richtig los mit dem Körperkult.Bilder © Adobe Stock ANZEIGEein Projekt der Evangelisch-methodistischeKirche… so farbig wie dein Glaube!Gemeinschaft. Gott. Weiteregenbogenkirche.chLinks der Klassiker: Eine Statue von Herkules. rechts das was sich viele Gays unter einem perfekten Körper vorstellen. Muskeln als Attribut von «Männlichkeit» - und als Fetisch.
12CRUISER MAI 2024GESELLSCHAFTKÖRPERKULTDie Epidemie hinterliess tiefe Spuren in der Wahrnehmung von Gesundheit und Schönheitsidealen innerhalb der Commu-nity. Der Zusammenhang zwischen dem Muskelkult und AIDS ist zwar komplex, zeigt aber, wie historische Ereignisse Ein-uss auf soziale Normen und individuelles Verhalten nehmen können.Gesundheit und Vitalität als WiderstandWährend HIV/AIDS fälschlicherweise als «schwule Krankheit» stigmatisiert wurde, wurde ein muskulöser Körper zum Zei-chen des Widerstands. Das Streben nach einem idealisierten Körperbild bot vielen schwulen Männern eine Form der Kontrolle in einer ansonsten hilosen Situation. Die Fokussierung auf Fitness diente nicht nur der Selbstbehauptung, sondern erhöhte auch soziale und sexuelle Attraktivität in-nerhalb der Community. Trotzdem kann der Muskelkult der 1980er-Jahre nicht aus-Bilder © Adobe Stock / ShutterstockOftmals spielen beim ersten Gay-Date weder Intelligenz noch Charakter die Hauptrolle, sondern vielmehr ein athletischer Körperbau steht im Vordergrund. Die Bedeutung von persönlichen Qualitäten und von Tief-gründigkeit tritt meist erst in folgenden Treffen zutage.Forschungen zeigen, dass das Fitnessstudio ein zentraler Ort für die Aushandlung von Männlichkeit, Sexualität und sozialer Zugehörigkeit geworden ist (Sassatelli, 2010).Wunsch, muskulös zu sein, mit unseren grundlegendsten Trieben und Sehnsüchten verbunden sein könnte und nicht nur eine moderne Obsession darstellt.Von den Turnhallen des 19. Jahrhun-derts hat sich das Fitnessstudio weit über seine Rolle als Tempel der Muskelkultivie-rung hinausentwickelt hin zu den multi-funktionalen Fitnesszentren, in denen jede Maschine und jede Übung mit einer eige-nen Philosophie und einem eigenen Ver-sprechen kommt. Forschungen zeigen, dass das Fitnessstudio ein zentraler Ort für die Aushandlung von Männlichkeit, Sexualität und sozialer Zugehörigkeit geworden ist (Sassatelli, 2010).Ja und dann sind da natürlich und vor allem auch die Medien. Insta, TikTok & Co. inklusive: Die Rolle die diese Plattformen zusammen mit den «herkömmlichen» Me-dien in der Verbreitung des muskulösen Ideals spielen, ist komplex. Von den ersten Muskelmännern in Zigarettenanzeigen des frühen 20. Jahrhunderts bis zu den hyper-gestylten Inuencern von heute – die Evolu-tion der Werbung hat das Bild des idealen Körpers geformt. Die Studie von Spitzer, Henderson und Zivian untersucht, wie Wer-bung durch visuelle Darstellungen be-stimmte Wünsche und Vorstellungen be-einusst und manipuliert. In Bezug auf schwule Männer und Muskeln zeigt diese Forschung, wie Werbebilder oft idealisierte Körperbilder verwenden, um bestimmte Normen von Attraktivität und Begehren zu fördern. Diese Bilder präsentieren häug muskulöse Körper als erstrebenswertes Ide-al, was Druck auf schwule Männer ausüben kann, bestimmten körperlichen Standards zu entsprechen. Ein Universum der Vielfalt – Die Suche nach Gleichgewicht Wie schaen wir ein Universum der Viel-falt, in dem alle Körpertypen gefeiert wer-den und das Streben nach Gesundheit und Glück nicht durch enge Schönheitsstan-dards eingeschränkt wird? Wir wissen es auch nicht. Bildung, Kunst und die mutige Während HIV/AIDS fälschlicher-weise als «schwule Krankheit» stigmatisiert wurde, wurde ein muskulöser Körper zum Zeichen des Widerstands. schliesslich aus der AIDS-Epidemie erklärt werden, er ist vielmehr Teil eines breiteren sozialen und kulturellen Kontexts.Die Psychologie der MuskelmasseDas psychologische Bedürfnis nach Mus-kelmasse zu verstehen, bedeutet, tiefer in die menschliche Psyche einzutauchen. Carl Jungs eorie der Archetypen * könnte ei-nen «Muskel-Archetyp» vorschlagen, der in unserem kollektiven Unbewussten veran-kert ist. Forschungen, wie die von Leit, Gray und Pope (2002), unterstreichen, dass der
13Selfie, Selfie, noch mal Selfie. Dazu braucht es natürlich den idealen Körper; oder mindestens ein Instagram & Grindr tauglichen Body. GESELLSCHAFTKÖRPERKULTANZEIGE5 CRUISER SommER 2017sliPPerySubjeCtSVoN MARTIN MüHLHEIMC oming-out-Filme gibt es mittlerweile viele, und entsprechend unterschied-lich kommen sie daher: leichtfüssig- komisch wie der britische Klassiker Beautiful ing (1996), eher nachdenklich wie das brasilianische Kleinod Seashore (2015), bisweilen auch zutiefst tragisch – so im israelischen Drama Du sollst nicht lieben (2009), das in der ultraorthodoxen Gemein-de in Jerusalem spielt.Angesichts solcher Unterschiede er-staunt es umso mehr, mit welcher Regel- mässigkeit uns Coming-out-Filme Jungs oder Männer zeigen, die – alleine, zu zweit oder in Gruppen – schwimmen gehen. Nun könnte man das natürlich als Zufall oder Neben-sächlichkeit abtun. Bei genauerem Nachden-ken zeigt sich allerdings, dass sich gleich mehrere Gründe für diese erstaunliche Häu-gkeit nden lassen.Nackte Haut ohne allzu viel SexEine erste, nur scheinbar oberächliche Er-klärung ist, dass (halb)entblösste Körper sich nicht bloss auf der Leinwand, sondern auch auf Filmpostern und DVD-Covern äus- serst gut machen. Schwimmszenen bieten ein perfektes Alibi für das Zeigen von nack-ter Haut: Sex sells, wie es so schön heisst.Warum «Alibi»? Weil man – gerade bei Filmen mit jungen Protagonisten – aufpas-sen muss: «Sex sells» mag zwar zutreen, aber allzu explizite Sexszenen können schnell mal zu hohen Altersfreigaben füh-ren. Dies wiederum möchten Filmemacher in der Regel vermeiden: Filme, die erst ab 18 freigegeben sind, lassen sich nämlich weni-ger einfach vermarkten. Auf Amazon.de zum Beispiel werden Filme mit Altersfreiga-be 18 nur an nachweislich volljährige Perso-nen verkau – und gerade für Coming- out-Filme, die sich auch an ein junges Publi-kum richten, ist dies sicher kein wünschens-werter Eekt.Schwimmszenen bieten hier eine per-fekte Kompromisslösung: Man kann nackte Haut lmisch ansprechend inszenieren, da-bei aber allzu heisse Techtelmechtel tugend-ha vermeiden (beispielsweise, indem der Wasserspiegel immer über der Gürtellinie bleibt, wie im niederländischen Film Jon-gens, 2014). Um das Rezept knapp zusam-menzufassen: Man nehme eine grosszügige Portion feuchter Erotik, eine vorsichtige Pri-se Sex – und um Himmels Willen kein Körn-chen Porno. Eingetaucht ins TrieblebenMan täte den lesBischwulen Filmemache-rInnen aber unrecht, wenn man ihre erzäh-lerischen Entscheidungen allein auf nan-zielles Kalkül reduzieren wollte. Es gibt nämlich auch ästhetisch-symbolische Grün-de, die Schwimmszenen für das Genre inter-essant machen. Da wäre zunächst die Funktion des Wassers als Symbol für das Unbewusste. Dieses Unbewusste, so weiss man spätestens seit Sigmund Freud, hat viel mit der Triebna-tur des Menschen zu tun – und so erstaunt es nicht, dass Hauptguren auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität sozusagen symbo-lisch in die Tiefen des Unbewussten eintau-chen müssen, um ihr gleichgeschlechtliches Begehren zu entdecken. Figuren in der SchwebeDarüber hinaus hat die Filmwissenschale-rin Franziska Heller in ihrem Buch über die Filmästhetik des Fluiden (2010) gezeigt, dass schwimmende Figuren immer wieder als «schwebende Körper» inszeniert werden: o in Zeitlupe und seltsam herausgelöst aus dem sonst zielstrebig voranschreitenden Erzählprozess. Dieser Schwebezustand wie-derum ist eine wunderbare visuelle Meta-pher für die Phase kurz vor dem Coming-out: Man ist nicht mehr der oder die Alte, aber auch noch nicht ganz in der neuen Identität angekommen. Ein Film macht das Schweben sogar explizit zum ema: In Kinder Gottes aus dem Jahr 2010 zeigt Romeo dem neuro-tisch-verklemmten Johnny, wie befreiend das «Floating» im Meer sein kann.Neben der Inszenierung von Schwebe-zuständen und dem Wasser als Symbol für das Unbewusste ist drittens das Motiv von ➔ Filme, die ersT ab 18 FreiGeGeben sind, lassen sicH nämlicH WeniGer einFacH VermarKTen.ANZEIGE«Was geht mich meine Gesundheit an!» Wilhelm Nietzsche Wir sind die erste Adresse für diskrete Beratung in allen Gesundheitsfragen.Stampfenbachstr. 7, 8001 Zürich, Tel. 044 252 44 20, Fax 044 252 44 21 leonhards-apotheke@bluewin.ch, www.leonhards.apotheke.chIhr Gesu ndheits-Coach .rz_TP_Leonhards_Apotheke_210x93.3_Cruiser_4c_280317.indd 1 28.03.2017 10:07:37* = Carl Jungs Theorie der Archetypen beschreibt universelle, tiefe Muster in unserem Unbewussten, die sich in unseren Träumen, Mythen und Verhal-tensweisen zeigen. Diese Archetypen sind wie ver-erbte Vorstellungen, die jeder von uns in sich trägt. Jung glaubte, dass diese Muster helfen, unsere Persönlichkeit zu formen und wie wir die Welt um uns herum verstehen. Einige Beispiele für Archety-pen sind der Held, der Weise und die Mutterfigur. Sie beeinflussen, wie wir handeln und fühlen, oft ohne dass wir uns dessen bewusst sind.Praxis der Selbstliebe und Akzeptanz bie-ten vielleicht Wege zur individuellen und kollektiven Transformation.Und hier sind wir nun, aufgepumpt und bereit für die Badi-Saison. Zudem: Er-fahrungsgemäss funktioniert ein Online-Prol auf Grind & Co. besser wenn a) viel Haut gezeigt wird und b) Muskeln und c) im Idealfall ein Sixpack.Der Kreis schliesst sich, und während wir uns auf die nächste Gym-Session vorbe-reiten, können wir sicher sein, dass die Ge-schichte des Muskelkults noch lange nicht am Ende ist und «Body-Positivity» in vielen Fällen nichts anderes als eine Worthülse ist. 13ZITIERTE STUDIEN ZUM THEMAThompson & Cafri (2007)Diese Studie betrachtet die Bedeutung der körperlichen Kraft und Fähigkeit als zentrales Element sozialer Hierarchien und individueller Fitnessstrategien.Leit, Gray & Pope (2002)Die Forscher untersuchen, wie der Wunsch, muskulös zu sein, mit grundlegenden mensch- lichen Trieben und Sehnsüchten verbunden ist und betrachten dies nicht nur als eine moderne Obsession.Sassatelli (2010) Diese Studie zeigt, wie Fitnessstudios zu zentralen Orten für die Aushandlung von Männ-lichkeit, Sexualität und sozialer Zugehörigkeit geworden sind.Spitzer, Henderson & Zivian (1999)Diese Forschung analysiert, wie Werbung durch visuelle Darstellungen Wünsche und Vorstellun-gen beeinflusst und manipuliert,insbesondere in Bezug auf muskulöse Körperbilder und deren Wirkung auf schwule Männer.
14CRUISER MAI 2024CRUISER EMPFIEHLTGIRLI: MEHR ALS NUR PROVOKATIVBild © Claryn ChongDie Londoner Künstlerin Girli (bürgerlich Amelia Toomey) ist bekannt für ihre eklektische Musik, die Elemente aus Pop, Punk, Grunge der 90er-Jahre und der Riot Grrrl-Bewegung vereint. Ihre Werke sind tief autobiograsch, und sie nutzt Musik als ein Mittel, um persönliche Erfahrungen und gesellschaftliche emen zu verarbeiten. In ihrem kürzlich angekündigten Album «Matriarchy» taucht Girli in die Konzepte von Queerness, Feminis-mus und persönlicher Befreiung ein. Sie reektiert über ihre bise-xuelle bzw. queere Identität und die politischen Dimensionen, die diese mit sich bringt, insbesondere im Kontext der heutigen politi-schen Landschaft in Grossbritannien und den USA. Mit «Matriar-chy» und dem Single-Hit «Nothing Hurts Like a Girl» bietet Girli eine musikalische Reexion über Liebe, Trennung und die Stärke, die in der Verletzlichkeit liegt.Die Veränderung im Klangbild zu «Matriarchy» gegenüber früheren Werken beschreibt Girli als eine Evolution hin zu einem experimentelleren, vielschichtigeren Sound, der jedoch weiterhin von einer Vielzahl musikalischer Einüsse geprägt ist. Das Album zeugt von ihrer Reife und ihrer Bereitschaft, in der Musik und in den Texten auch sanftere Töne anzuschlagen, was eine neue Seite der Künstlerin oenbart.Girli hat sich im Laufe ihrer Karriere nicht nur musikalisch, sondern auch in ihrem visuellen Stil entwickelt. Ihr charakteristi-sches neonpinkes Haar und ihre von der Harajuku-Mode, der Riot Grrrl-Szene und Girlbands der 2000er-Jahre inspirierte Garderobe spiegeln ihre musikalische Identität und feministische Überzeu-gungen wider. Sie hat sich oen gegen Menstruationstabus ausge-sprochen und setzt sich aktiv gegen sexuelle Belästigung in der Musikszene ein.Mit «Matriarchy» will Girli nicht nur ihre persönlichen Erfah-rungen teilen, sondern auch ein Zeichen für Empowerment und die Stärke von queerer Liebe und Feminismus setzen. Die Zuhörer können sich auf ein Album freuen, das nicht nur musikalisch, son-dern auch inhaltlich Grenzen überschreitet und zum Nachdenken anregt. GIRLI MATRIARCHY-TOUR 2024 16. Juni 2024 – EXIL Zürich, Hardstrasse 245, 8005 ZürichDoors: 19:00 | Show: 20:00Offizieller Vorverkaufsstart / Tickets Mittwoch, 15. November 2023, 10:00 Tickets: CHF 35 unter: www.ticketcorner.chgadget.ch, girlimusic.com«Matriarchy» von Girli vereint Musik und Feminismus. Ihr Stil reflektiert vielfältige Themen. Sie setzt feministische Statements; auch in ihren Live-Shows.Queere Beats & feministische NotenEMPFEHLUNG VON TEAM CRUISER
15KULTURBUCHTIPPBUCHTIPPAdam Mars-Jones: Box Hill. Albino Verlag 2024.Preis CHF 36.90 ISBN 978-3-86300-375-3VON BIRGIT KAWOHLBritische Romane, die die Herkunft von Männern thematisieren, schei-nen momentan en vogue zu sein. So feierte Douglas Stuart mit «Shuggie Bain» und «Young Mungo» grosse Erfolge, ebenso wie Michael Magee mit seinem Roman «Close to Home» im vergangenen Jahr. Im Albino Verlag, der dafür bekannt ist, immer wieder literarische Perlen ans Licht zu holen, wurde Ende März die deutschsprachige Ausgabe des 2020 er-schienenen (kurzen) Romans «Box Hill» des 1954 in London geborenen Adam Mars-Jones veröentlicht.Während die Leser*innen in den erst-genannten Romanen in prekäre Lebensver-hältnisse der britischen Arbeiterklasse ent-führt werden, landet man in «Box Hill» in einem gut situierten bürgerlichen Milieu in einer Kleinstadt nahe London. Dort lebt 1975 der achtzehnjährige Colin, dessen El-tern eine Apotheke führen. An seinem 18. Geburtstag nimmt sein Leben eine entscheidende Wende, dort be-gibt er sich nämlich zum Box Hill, einem Trepunkt der Biker-Szene, für die er schwärmt. Irgendwie wird seine mehr als unscheinbare Gestalt (keine Maschine, kei-ne echte Biker-Kluft und dazu noch überge-wichtig) von Ray wahrgenommen, der sei-nerseits so etwas wie der Chef eines Bikerclubs ist. Colin zieht Hals über Kopf bei Ray ein, der ihn wie eine Art Sklave hält: Colin bekommt keinen Schlüssel für die Wohnung, er muss diese morgens vor neun Uhr verlassen und darf auch erst wieder am frühen Abend auftauchen und er muss Ray sexuell zu Diensten sein. Dieses Zu-Diens-ten-Sein wirkt auf Leser*innen, die sich we-nig mit SM beschäftigen, zumindest bizarr, wenn nicht gar abstossend. So mag man sich fragen, was einen klar denkenden jun-gen Mann – Colin ist mehr als das, denn er ist hochintelligent und Mitglied im Mensa-Club – dazu bringt, sich befehlen zu lassen, die Motorradstiefel eines anderen zu le-cken. Colin realisiert durchaus, dass sein Verhältnis zu Ray ein spezielles ist, zu skur-ril sind die Erlebnisse, die sie gemeinsam haben (z. B. wenn er von Ray in aller Öent-lichkeit am Strassenrand neben dem Motor-rad geckt wird) und zu wenig darf er an Rays Leben teilhaben. Als die Beziehung nach sechs Jahren abrupt endet, merkt Colin in aller Klarheit, dass er eigentlich nichts über Ray weiss. Was hat dieser jeweils tagsüber gemacht? Wie hat er seinen Lebensunterhalt verdient? Dies sind nur einige Fragen, die sich Colin stellt. Letztendlich bleibt die Beziehung zu Ray aber nur eine Episode in Colins Leben, an die er retrospektiv zurückdenkt.Es ist gut, dass dieser Roman recht kurz ist, denn es steht zu befürchten, dass die Handlung nicht über weitere Seiten ge-tragen hätte. So bleibt der Text eine (schöne) Episode im Leben der Leser*innen, die hier-mit in eine für viele sicherlich unbekannte Welt ent- und eingeführt werden. Zugleich lernt man hier auch eine ganz andere Seite des Großbritanniens kennen, das ja eben nicht nur aus trinkenden Arbeiter*innen besteht. Colin bekommt keinen Schlüssel für die Wohnung, er muss diese morgens vor neun Uhr verlassen und darf auch erst wieder am frühen Abend auftauchen und er muss Ray sexuell zu Diensten sein. Dieses Zu-Diensten-Sein wirkt auf Leser*innen, die sich wenig mit SM beschäftigen, zu-mindest bizarr, wenn nicht gar abstossend.Der im Original 2020 erschienene Roman des Briten Adam Mars-Jones entführt seine Leser*innen in die Motorrad- und SM-Szene.«Lass mich deineStiefel lecken»CRUISER MAI 2024BuchtippMai
16CRUISER MAI 2024SZENEINTERVIEW MIT ANGELSVon der ersten sensationellen Nacht bis zum spektakulären 30-jährigen Jubiläum: Alex und Fortunat beleben die legendäre White Party in Zürich neu. Bilder © Haymo Empl / ZVG30 Jahre White Party: Ein spektakuläres Jubiläum voller HighlightsWHITE PARTYVor drei Jahrzehnten startete in Zürich das kulturelle Phänomen der ersten White Party, inspiriert von der kreativen Begegnung der Ur-Angels in einem Fitnessclub. Olivier Reveillon, ein charismatischer Franzose, war das organi-satorische Genie hinter dem Projekt, das trotz des begrenzten Kapitals dank Oliviers Begeiste-rung und einem weitreichenden Freundeskreis realisiert wurde.Die Wahl des Volkshauses als Veranstaltungs- ort war ein mutiger Schritt, der in einem uner-warteten Erfolg mündete. Olivier und sein Team überraschten mit einem Party-Konzept, das Zürichs Sehnsüchte traf. Folgeveranstaltungen wie Kitsch, Black und Folies au Lac brachten Innovationen und setzten – neben der White Party – neue Standards, wobei die Offenheit für Experimente und Provokation, wie bei der Dre-hung eines Schwulenpornos während der Black Party, herausstach.Nach einem Jahrzehnt begann das Interesse in Zürich nachzulassen, was zu Veränderungen im Team führte. Vor etwa vierzehn Jahren über-nahmen Stephan Willi, Erich Schlumpf, Jvan Paszti und Chris Eckstein die Leitung, bis Alex und sein Ehemann vor 8 Jahren frischen Wind brachten. Sie revitalisierten die White Party mit neuen Ideen und einem spektakulären Come-back im Volkshaus, wodurch das Erbe der Party fortgeführt und neue Kapitel Party-Geschichte in Zürich geschrieben werden.
17CRUISER MAI 2024glorreichen Tage anknüpfen, sondern auch sicherstellen, dass die Party für die kom-menden Generationen relevant bleibt. Es geht darum, das Erbe zu bewahren und gleichzeitig Innovation zu fördern.Wie ist es dir gelungen, deinen Traum zu verwirklichen?Ich liess mich nicht aufhalten. Ich absol-vierte einen DJ-Kurs, lernte die Organisato-ren der Angels kennen und begann, meinen Horizont zu erweitern, indem ich mich auf internationale Partys wie die Circuit Party in Barcelona oder die Clubs in Ibiza konzen-trierte. Und dann, 2013, stand ich das erste Mal in Zürich an einem DJ-Pult bei der Free To Love Party.Mit dem 30-jährigen Jubiläum der White Party vor der Tür… kannst du uns verraten, was für Highlights geplant sind?Wir haben keine Mühen gescheut, um si-cherzustellen, dass diese Edition der White Party unvergesslich wird. Dafür haben wir drei Danceoors eingerichtet, um eine Viel-falt an musikalischen Genres zu präsentie-ren. Über zehn DJs von nationaler und in-ternationaler Bekanntheit werden auegen, darunter Legenden und aufstrebende Ta-lente. Kannst du noch etwas genauer werden?Wir sind stolz darauf, talentierte Künstler- *innen aus dem Drag Race-Universum will-kommen zu heissen, darunter die strahlen-den Queens Victoria Shakespears und Tessa Testicle aus der Schweiz, Kelly Heelton und Tessa Testicle aus Deutschland sowie Melis-sa Bianchinni aus Italien. Ihre Präsenz wird zweifellos für spektakuläre Momente und eine Extraportion Glamour sorgen.Und das alles findet im Volkshaus statt…Wir kehren zu unseren Wurzeln zurück. Ein Ort, der reich an (Party-)Geschichte und unvergesslichen Nächten ist. Der italieni-sche DJ Alex Kennon, bekannt für seine elektrisierenden Sets in den führenden Clubs Ibizas wie Ushuaia, Hi Club und Pacha, wird den Mainoor erobern. Ihm zur Seite stehen der schweizerischen DJ Animal Trainer und das deutsche Power-Duo Chris Bekker und Chris Montana, die für ihre mit-reissenden Rhythmen und Vibes bekannt sind. Acid Flora aus der Schweiz wird den Abend einleiten und für den perfekten Start in die Nacht sorgen.Wie sieht es mit den anderen Dancefloors aus?Der zweite Danceoor im Weissen Saal und der dritte Floor werden jeweils von einem beeindruckenden Line-Up von Star-DJs ge-prägt sein, darunter Ismael Rivas aus Spani-en, Dario La Mazza und Patrick Ruprecht aus der Schweiz sowie Hendrik Milan aus Deutschland, José Parra aus der Schweiz und Angelica Fravi. Sie werden mit ihren Sets, die von einfühlsamen Vibes bis hin ➔ INTERVIEW VON HAYMO EMPLVom ersten magischen Moment bis zum 30-jährigen Jubiläum: Alex und Fortunat hauchen der beliebten White Party in Zürich neues Leben ein. Mit drei Danceoors, über zehn Top-DJs, Drag Race-Stars und einer Rückkehr zu den Wurzeln im Volkshaus verspricht dieses Event, das reiche Partyerbe mit frischer Energie und Innovation zu vereinen. Crui-ser hat die beiden im Café Kwer in Zürich zum Gespräch getroen.Cruiser: Alex, kannst du dich noch an deine erste Begegnung mit der «White Party» erinnern? Was hat dich damals so fasziniert?Alex: Absolut, das werde ich nie vergessen. Es war eine magische Nacht, die alles verän-derte. Die Atmosphäre, die Energie, die Leute – es war, als hätte ich endlich gefun-den, wonach ich immer gesucht hatte. Die Begeisterung und das Gemeinschaftsgefühl waren überwältigend. Ich wusste sofort: Hier möchte ich mehr als nur ein Gast sein.Wie hat sich die Party deiner Meinung nach über die Jahre entwickelt? Die Entwicklung der White Party war be-eindruckend. Von den Anfängen der White Party im Volkshaus bis hin zu den sie er-gänzenden innovativen und manchmal provokativen Konzepten wie Kitsch, Black und Folies au Lac. Jede Veranstaltung hat neue Standards gesetzt. Wir haben immer versucht, Grenzen zu verschieben und un-sere Gäste zu überraschen. Das ist es, was die White Party und die übrigen Angels Partys ausmacht.Wie haben es du und dein Ehemann Fortunat geschafft, der White Party nun neues Leben einzuhauchen?Wir sahen es als unsere Mission, der White Party ihre ursprüngliche Magie zurückzu-geben, während wir gleichzeitig neue Wege erkundeten. Die Beteiligung an der Produk-tion der Flash und Black Party 2016 war ein erster Schritt. Wir wollten nicht nur an die Es war eine magische Nacht, die alles veränderte. Die Atmo-sphäre, die Energie, die Leute – es war, als hätte ich endlich gefunden, wonach ich immer gesucht hatte. Wir kehren zu unseren Wurzeln zurück. Ein Ort, der reich an (Party-)Geschichte und unver-gesslichen Nächten ist. Alex und Fortunat sind nicht nur beruflich ein tolles Team sondern auch privat glücklich liiert.
18CRUISER MAI 2024zu energiegeladenen Klängen reichen, für eine unvergleichliche Atmosphäre sorgen - das ganze Wochenende.Du sprichst von Wochenende?Die Party endet ja nicht mit den letzten Beats im Volkshaus. Nur wenige Gehminu-ten entfernt setzen wir die Nacht in der Ba-gatelle mit der oziellen White Afterhour fort. Dort können unsere Gäste bis in die frühen Morgenstunden weiterfeiern und den Zauber der White Party in vollen Zü-gen geniessen. Und am Abend darauf geht’s um 22:Uhr mit der «White Rooftop Closing Party» im Soho Club Zürich (Hardstrasse 260) weiter. Start des White Party Festivals ist schon am Freitag, 17.05.2024, um 23:00 Uhr mit der «White Opening Party» eben-falls im Soho Club Zürich. xxxxxxxxxxxxxxxANZEIGEcruiserbraucht dich!Abonniere uns!Meine Cruiser-Bestellung Jahresabo, Selbstkostenpreis: CHF 68.– Gönner*innen Jahresabo: CHF 250.–Einsenden an: Cruiser, Clausiusstrasse 42, 8006 Zürichwww.cruisermagazin.ch/aboDAS MAGAZIN FÜR DIE QUEERE LEBENSART10 AUSGABEN FÜR NUR CHF 68. Der Cruiser kommt in neutralem Umschlag direkt in deinen Briefkasten. Einfach Coupon ausfüllen und einschicken oder online bestellen unter www.cruisermagazin.ch/aboVorname | NameStrasse | Nr.PLZ | Ort E-MailUnterschrift30 Jahre und kein bisschen müde oder gar aus der Mode gekommen: Die White Party ist immer noch ein Garant für exzellente Stimmung.30 JAHRE WHITE PARTY Die 30 Jahre Jubiläums-White Party startet am 18. Mai ab 22.00 Uhr im Volkshaus Zürich, das White Party Festival mit seinen vier Partys dauert vom 17. Mai 23:00 bis 20. Mai morgens früh. Das Party-Spektakel mit vielen Tausend Gästen wird von einem umfangreichen Zusatz-angebot begleitet. Alle Infos und Tickets auf www.angels.ch
KOLUMNEMICHI RÜEGGMichi Rüegg liest vielerorts vom Dritten Weltkrieg. Das macht ihn nicht so froh. Aber da er Cannabis nicht verträgt, kann er sich den Planeten leider nicht schönkiffen.VON MICHI RÜEGGViele von uns tendieren dazu, immer wieder dieselben Fehler zu machen. Ich zum Beispiel habe mal drei Reser-vationen hintereinander in der Kronenhalle versehentlich ein Karamellköpi bestellt, weil ich die «Crème Caramel» auf der Des-sertkarte für eine gebrannte Crème hielt. Dabei bin ich gar kein Fan von Flan.Auch die Weltgeschichte scheint sich im Kreis zu drehen. Die 20er-Jahre des 21. Jahrhunderts haben in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten mit den 20ern des vergange-nen. Auch damals wurden Menschen und Sitten lockerer, der Fortschritt bescherte al-lerlei tolle Erndungen. Und die Demokra-tien waren herausgefordert durch die da-mals ersten Autokratien ohne Monarchen, rechte Agitatoren und solche, die vor den oben erwähnten lockeren Sitten eindring-lich zu warnen wussten.Damals dauerte es noch ein Weilchen, bis die ersten Staaten ihre Nachbarn über-elen. In diesem Jahrhundert kam Vladimir Putin etwas zu früh. Wohl, weil er bereits die Siebzig überschritten hat und nicht weiss, wie lange er noch im Sessel sitzt, ohne vor sich hin zu sabbern. Hundert Jah-re, bevor Russland die Ukraine angri, sass Adolf Hitler jedenfalls noch wegen Land-friedensbruch im Knast, und dort sass es sich weitaus weniger bequem als auf Putins Bürostuhl im Kreml, der Gerüchten zufolge aus besonders schonend gegerbter Baby-blauwalvorhaut gefertigt ist. Wieso schreibe ich so deprimierende Sätze, während draussen sowie in den Ho-sen der schwulen Männer der Frühling spriesst?Die Antwort ist einfach: In den ver-gangenen Wochen las ich gefühlt jeden zweiten Tag in irgendeinem Presserzeug-nis vom «dritten Weltkrieg» (da er noch nicht stattgefunden hat, schreiben wir ihn noch mit einem kleinen D). Und mein Ge-fühl wurde beim Lesen nicht besser. Wir sind tatsächlich derzeit auf diversen Ebe-nen herausgefordert. Die einen suchen ver-zweifelt eine bezahlbare Wohnung, andere möchten Palästina befreien (wahlweise von den Israelis oder der Hamas, selten von beiden), wiederum andere nden es nicht gut, dass wir den Krieg in der Ukraine ver-gessen, während ein anderer Teil von uns am liebsten alles vergessen würde, was uns die Laune verdirbt. Selbst die einst über al-lem stehenden Feuilletonisten (sowie die wenigen *innen) scheinen sich nicht einig zu sein, ob die grösste Herausforderung für die Freiheit die Bedrohung aus Moskau (al-lenfalls auch noch Beijing) ist, oder ein paar Märchen erzählende Dragqueens und ihre verbündeten Woke-Studis an den Universi-täten.Das Leben stellt uns vor gewisse Her-ausforderungen. Und zum ersten Mal bin ich ganz froh darüber, dass ich bereits auf die 50 zusteuere. Je nachdem, in welche Richtung sich die Weltgeschichte dreht, wird es sich als Erleichterung anfühlen, dass ich’s bald hinter mir habe. (Betrachtet man hingegen die durchschnittliche Le-benserwartung, sieht die Sache wieder düs-ter aus.)Um das Unerträgliche etwas erträgli-cher zu gestalten, haben diverse Schweizer Städte im Rahmen einer Versuchsreihe da-mit begonnen, Cannabis legal an Kier*in-nen abzugeben. Unter Umständen ist die grossächige Verteilung von THC-haltigem Kraut die einzig vernünftige friedensför-dernde Massnahme. Wer wie ich den Konsum von Canna-bis zu seinem und aller anderen Menschen Leidwesen nicht erträgt, kann ja massvoll dem Alkohol frönen. Bald schon können wir uns wieder auf die Werdinsel legen, ein Bierchen kippen und dem Blätterrascheln lauschen. Dabei lässt sich all der Ärger auf dem Planeten treich vergessen. Nicht, dass das die Lösung wäre. Aber vielleicht eine. Und dann ist da noch die Bumserei. Schon vor hundert Jahren haben sie rumge-vögelt, was das Zeug hielt. Diese Art von Es-kapismus mag ebenfalls wenig zur Lösung globaler Konikte beitragen. Aber es ist ver-dammt nochmal Frühling, und wenn Ho-den voll sind, müssen sie irgendwo geleert werden. Sonst werden wir bloss unnötig ag-gressiv und überfallen am Ende ohne Not Nachbarstaaten. Die Weltlage als psychischeHerausforderung19CRUISER MAI 2024Bald schon können wir uns wieder auf die Werdinsel legen, ein Bierchen kippen und dem Blätterrascheln lauschen. Dabei lässt sich all der Ärger auf dem Planeten trefflich vergessen. Nicht, dass das die Lösung wäre. Aber vielleicht eine.
20CRUISER MAI 2024Bild © Chris8an Knecht / vasistas.ch, Grafik David (rechts) © Haymo Empl mit Dall-EJeder kennt die Kneipe um die Ecke, in der der beherzte Wirt und sein Team seit vielen Jahren ihre Stammgäste nicht nur bewirten, sondern diese auch in eine Welt voller Freude und Spass eingeladen werden. Sobald die Jukebox, das Herzstück der Kneipe, aktiviert wird, wird der Raum lebendig und dient als Büh-ne für die Entfaltung von Träumen, Honungen und den vielfälti-gen Lebensgeschichten seiner Besucher. Diese Abende sind gefüllt mit Feierlichkeiten, gemeinsamem Gesang und dem reinen Ge-nuss des Augenblicks.Eine vibrierende NachtAn diesem besonderen Abend versammelt sich die Gemeinschaft in der warmen und einladenden Atmosphäre, um ein bedeutsames Jubiläum zu feiern. Geplant ist eine Nacht, die vor Energie vibriert, voller Überraschungen steckt und unvergessliche Darbietungen sowie eine Fülle an Musik direkt aus der Jukebox verspricht. Aus-gerechnet heute jedoch erleidet die Jukebox einen Defekt. Doch in dieser einzigartigen Bar zeigt sich die Crew von ihrer besten Seite und ersetzt kurzerhand die Jukebox mit Live-Musik und -Gesang.Grossartiges Star-AufgebotNach den Erfolgen von äusserst erfolgreichen Bühnen-Hits wie «Bye Bye Bar», «Camping» und «Sekretärinnen» bringt Dominik Flaschka in Zusammenarbeit mit dem Ensemble der Shake Compa-ny eine frische Show auf die Bühne, die bekannte Lieder in einem neuen Licht präsentiert. JUKEBOX HEROES lädt das Publikum ein, in einer Welt der Hitparadenmusik zu schwelgen, wobei es selbst zum Protagonisten wird und im Vorfeld über die Auswahl der Hits mitentscheiden darf. Durch diese interaktive Komponente wird jede Auührung zu einem einzigartigen Fest, das zum Mitsingen und Feiern anregt und somit von der Shake Company präsentiert wird. Übrigens: In JUKEBOX HEROES treten prominente Künst- ler*innen wie Fabienne Louves, Gigi Moto, Eric Hättenschwiler, Angelo Canonico, Judith von Orelli, Flavio Baltermia und Jeremy Müller auf. Die Live-Jukebox-Band besteht aus Pim Nieuwlands, Simon Kistler und Jean-Pierre von Dach. JUKEBOX HEROES: DIE ULTIMATIVE KNEIPEN-SHOW MIT HITS VON ABBA BIS ZUCCHERO!Shows: 8./10./11. Mai jeweils 19.30 Uhr (Vorpremieren)12. Mai, 18.00 Uhr (Premiere) weitere Shows bis 16. Juni 2024Tickets: Bernhard Theater Zürich, www.bernhard-theater.chshakecompany.chDie neue Show der Shake Company JUKEBOX HEROES verwandelt eine Kneipe in eine Bühne für persönliche Geschichten, angetrieben durch eine «Live-Jukebox»Eine unvergessliche Nacht voller HitsEMPFEHLUNG VON TEAM CRUISERCRUISER EMPFIEHLTJUKEBOX-HEROES: NOSTALGIE PUR
21CRUISER MAI 2024Michelangelos «David» ist in Florenz zum Steinwurf bereit. Dieser ist so legendär wie seine Freundschaft zu Jonathan.VON ALAIN SOREL Da steht er, nackt, wie Gott oder – in dem Fall – eher, wie der Künstler ihn erschuf. Der Kopf mit dem gekraus-ten Haar ist nach links geneigt, die linke Hand umschliesst einen Gegenstand, der über die Schulter gelegt ist. Der rechte Arm hängt nach unten, lässig, dürfte man mei-nen, doch der Eindruck täuscht: Die Finger sind nicht ausgestreckt, sondern halten et-was fest, verstecken etwas. Ausgeprägt ist die Halsmuskulatur des jungen Mannes über seinem kräftig gebauten Brustkasten. Der Bursche ist topt.Wir reden von der berühmten Kolos-salstatue in Florenz, die den David darstellt, den David aus dem Alten Testament, den David, der mit der Steinschleuder wie ne-benbei den Riesen Goliath besiegte. Die Ge-schichte von David ist der Beweis dafür, dass nicht schiere Stärke und physische Masse jemanden von vorneherein unüber-windbar machen und einen anderen zwangsläug auf verlorenem Posten stehen lassen, sondern dass Wendigkeit, Gewandt-heit und Wachsamkeit ihre Chancen haben können. Der Kampf «David gegen Goliath» ist zu einem geügelten Wort geworden. Es widerspricht dem fürchterlichen «Recht des Stärkeren», das leider schon allzu oft uner-messliches Leid über Länder und Völker ge-bracht hat.David ist die immerwährende Ho-nung jener, die im Falle von Gefahr über sich hinauswachsen und Kräfte freisetzen, die sie sich selber nicht zugetraut hätten. ➔David gegen Goliath wider-spricht dem fürchterlichen «Recht des Stärkeren».Der kleine Hirtenjunge David gewinnt gegen den überheblichen Riesen Goliat! In unserem Artikel geht es aber weniger um die Geschichte die im Buch Samuel (1. Samuel 17) in der Bibel erzählt wird, sondern was danach aus David geworden ist. Davids unerschrockenerFreund SERIEHOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE UND LITERATUR
22CRUISER MAI 2024Heisses HerzGeschaen wurde der David von Michel-angelo Buonarroti (1475 bis 1564), einem Genie – Bildhauer, Maler, Architekt und Dichter in einem. In den drei Jahren, in de-nen der Meister dieses Wunderwerk aus dem Carrara-Marmor schlug, war der Stein unter seiner Hand zum Leben erwacht. Überliefert ist vom ihm der Satz: «Nur die Hand, die ganz dem Geist gehorcht, erreicht das Bild im Steine.»Den Geist hatte Michelangelo, aber es brauchte auch ein heisses Herz – emotiona-le Glut, um solch eine Figur wie den David aus dem Stein zu meisseln, einen Menschen aus einem Material zu formen. Angefacht wurde diese Glut von Michelangelos Liebe zum männlichen Körper. Er faszinierte ihn, er wollte ihn spüren. Hautnah.Die Ansicht hat sich durchgesetzt, dass Michelangelo schwul war. Von einem in Gedichten verherrlichten Geliebten, Tommaso dei Cavalieri, ist die Rede. Die muskulösen, gut konditionierten Männer auf Michelangelos Fresken in der Sixtini-schen Kapelle in Rom sollen eine auallen-de Ähnlichkeit mit Strichern haben, die zu Lebzeiten des Künstlers an einschlägigen Orten Roms verkehrten … Wie dem auch sei: Persönlichkeit und Leistung Michelangelos sind nicht im Zusammenhang mit seinen geschlechtlichen Vorlieben zu beurteilen.Das Original des David steht nicht mehr an seinem ursprünglichen Standort auf der Piazza della Signoria beim Palazzo Vecchio in Florenz, weil der Zahn der Zeit gefährlich am Monument nagte. Es hat eine geschützte Stätte in der Accademia gefun-den. Dort, wo es sich vorher befand, wurde eine Kopie hingestellt, die ihrerseits ein Pu-blikumsmagnet geworden ist. Michelange-los Eigenschöpfung ist über fünf Meter gross und etwa sechs Tonnen schwer. David wurde wie einst Goliath ein Riese, die ange-reisten Florenz-Touristen sind Zwerge ge-gen ihn. So verschieben sich Perspektiven.Bei Michelangelos David ruht die Schleuder über der Schulter, der Stein in der rechten Hand ist wurfbereit. Er wird Go-liath von den Füssen hauen. Im Unterschied zu vielen Darstellungen dieser biblischen Szene, auf denen der unerschrockene Bur-sche mit dem abgeschlagenen Kopf des Rie-sen zu sehen ist, steht dieser David in Flo-renz noch vor seiner Bewährungsprobe. Die Spannung, die dadurch in Davids Körper liegt, teilt sich dem Betrachter mit, was nur möglich ist dank der Nacktheit des jungen Kriegers. Davids Augen suchen den Gegner. Seine Gestik sendet eine einzige Botschaft aus: «Ich bin bereit.» Er darf seinem Körper und der Kraft, die darin liegt, vertrauen.Im TriumphZeitenwechsel, Szenenwechsel. Zwei Heere stehen sich kampfbereit gegenüber: Israeli-ten gegen Philister. In jenem 11. Jahrhundert vor Christus bedrängen die Philister immer wieder die Israeliten und sind für diese eine recht bedeutende Gefahr. Die Sache steht auf der Kippe, zum Nachteil der Israeliten. Einer aus dem Heer der Philister mit Namen Goliath, über drei Meter lang, fordert den Stärksten der Israeliten zum Zweikampf her-aus, doch keiner ist dazu bereit. Schliesslich ist es ein unbekannter Gefolgsmann von Is-raels König Saul, David, der sich Goliath ge-genüberstellt. Der Stein von Davids Schleu-der, seiner einzigen Wae, dringt in Goliaths Stirn ein, das Ungetüm stürzt zu Boden und David schlägt ihm den Kopf ab. Im Triumph kehrt er zu Saul zurück.Gut möglich, dass einer die Vorgänge beobachtete und ein Auge auf den Sieger warf: Jonathan, der älteste Sohn Sauls, der Kronprinz. David wird in der Bibel (1. Buch Samuel, Kapitel 16) als «bräunlich, mit schö-nen Augen und guter Gestalt» beschrieben. Es gab gute Gründe, von David angetan zu sein, einerseits seines Mutes wegen, den er gegen Goliath bewiesen hatte, anderseits auch der Musik wegen. David konnte Harfe Die David-Skulptur ist ein Meisterwerk der italieni-schen Renaissance, das zwischen 1501 und 1504 von Michelangelo geschaffen wurde. Mit einer Höhe von 5,17 Metern war der David die erste kolossale Marmorstatue, die in der frühen Neuzeit nach dem Vorbild der klassischen Antike geschaffen wurde.spielen wie kein zweiter. Deswegen war er auch an Sauls Hof berufen worden, um den König aufzuheitern, dessen Gemütszustand sich immer wieder verdüsterte. Hatte Saul eine Krise, so nahm David «die Harfe und spielte mit seiner Hand; so erquickte sich Saul und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm». Das war eine frü-he Form von Musiktherapie, wie sie auch in unserer Zeit angewendet wird.KleidertauschDavid war gemäss Altem Testament phy-sisch attraktiv und hatte auch seelischen Tiefgang. Und so begann eine Freundschaft, die im Alten Testament ihresgleichen sucht. Die Freundschaft zwischen dem Königs-sohn Jonathan und dem Mann aus dem Volk, David. Die Bibel beschreibt sie wort-mächtig und direkt, auch wenn die Sprache heute ungewohnt anmutet. Es «verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids, und Jonathan gewann ihn lieb wie sein ei-gen Herz. (…) Und Jonathan zog aus seinen Rock, den er anhatte, und gab ihn David, dazu seinen Mantel, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel.» Ein Vertrauens-beweis ohnegleichen. Jonathan entsagte für seinen Freund dem königlichen Glanz. Freundschaft war ihm wichtiger als die äus-seren Attribute seines Ranges. Ein frühes Indiz für eine innere Grösse, die er, wie der Lauf der Geschehnisse klarmachte, auch tatsächlich besass. Jonathan ahnte die hö-here Berufung Davids, war bereit, einfach Wegbereiter zu sein und ins zweite Glied zu treten, obwohl er selbst ein formidabler Krieger und Kämpfer war und das Zeug zum Herrscher ohne weiteres gehabt hätte.Seine Worte zu David waren prophe-tisch: «Du wirst König werden über Israel, so will ich der Nächste um dich sein. (…)» Ein früher Hinweis von Seiten des Königs-sohnes, dass in seinem Herzen Eifersucht keinen Platz bekommen würde. Im Klartext signalisierte er David: «Ich möchte einfach bei dir bleiben, lass mich in deiner Nähe sein.» Gegen Einüsterungen seines Vaters Saul, er, Jonathan, werde von David um Amt, Würden, Reich und Leben gebracht, war der Königssohn immun.Jonathan hatte keine leichte Position, aber er zögerte keine Sekunde und stellte sich auf die Seite des Freundes, ohne den Vater zu verlassen, dessen Verhältnis zu Jonathan entsagte für seinen Freund dem königlichen Glanz.SERIEHOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE UND LITERATURBilder © Adobe Stock / Shutterstock
23CRUISER MAI 2024SERIEHOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE UND LITERATURDavid sehr zwiespältig wurde. Die Schwer-mut machte Saul unberechenbar. Der erste König Israels litt darunter, dass er laut Al-tem Testament von Gott verworfen worden war. Er argwöhnte zudem bald, David wer-de ein Herausforderer, ein Rivale im Kampf um die Macht.Einsatz für den FreundSaul empfand eine Hassliebe für David. Mal wollte er ihn bei sich haben, dann wieder stiess er ihn weg und verfolgte ihn. Er gab ihm seine Tochter Michal zur Frau und trachtete ihm gleichzeitig nach dem Leben. David musste Hals über Kopf iehen. Michal rettete David einmal vor den Häschern Sauls – aber vorab war es Jonathan, der sei-nen Freund über die Lage am Hof aufklärte und ihm, halb krank vor Sorge um den Flüchtling, verschlüsselte Warnungen zu-kommen liess. Er sprach mit dem Vater, er-innerte ihn an Davids segensreiches Wirken mit der Harfe, er riskierte sogar sein Leben für ihn, indem der jähzornige Saul seinen Speer nach dem eigenen Sohn warf, als die-ser David verteidigte.David wurde nach und nach ein Mili-tärführer aus eigener Anstrengung und schlug Schlachten. Ganz wandte er sich nie von Saul ab, verschonte zweimal dessen Le-ben. Schliesslich war Saul der Vater seines besten Freundes. Die Zeit aber arbeitete für David: Nach Sauls Tod wurde er erst König von Juda, dann von ganz Israel. Doch in den Jahren, in denen Saul noch lebte und kämpfte, hielten es die zwei Freunde auf die Dauer ohne einander nicht aus. Sie trafen sich heimlich, waren in einem emotionalen Ausnahmezustand «und sie küssten sich miteinander und weinten miteinander, Da-vid aber am allermeisten», wie im Alten Tes-tament (1. Buch Samuel, Kapitel 20) ge-schrieben steht. Nutzten David und Jonathan die Gunst der Stunde, elen die letzten Schranken, gab es, weil sie einander unbedingt Halt geben wollten, kein Halten mehr? Für ein kurzes Glück? Oder war ihre seelisch-geistige Verbundenheit so stark, dass Sex gar keinen Platz hatte in ihrer Be-ziehung? Über die sexuelle Orientierung von David und Jonathan wird heiss debat-tiert, und bei einigen Argumentationen ge-gen eine körperliche Liebe hat man den Ver-dacht, sie erfolgten nach dem Motto «weil nicht sein kann, was nicht sein darf».Was feststeht: Die Zärtlichkeit zwi-schen den beiden Freunden bedingte einen engen Körperkontakt. David und Jonathan hatten keine Berührungsängste. Unbe-stechliche Quelle dafür: die Bibel.Dem toten Freund sandte David dann einen letzten, bewegenden Gruss. Jonathan war in einer Schlacht seines Vaters, an der David nicht beteiligt war, ums Leben ge-kommen, Saul hatte sich im Angesicht der Niederlage ins Schwert gestürzt. In seinem Klagelied um Jonathan – und Saul! – liess David keinen Zweifel aufkommen, was er für Jonathan empfunden hatte: «Mir ist weh um dich, / mein Bruder Jonathan: / ich habe grosse Freude und / Wonne an dir gehabt; / deine Liebe ist mir kostbarer / gewesen / denn Frauenliebe ist.»David heiratete Batseba, die ihm einen Sohn schenkte – einen Erben, den späteren grossen Salomo. Männer, die nicht so mit Muskeln gesegnet waren, konnten ihre Umwelt immerhin noch mit ihrer Harfe beglücken.ANZEIGESchreinerstrasse 44 | 8004 Zürich | Telefon 044 291 39 90 | www.haargenau.chDeine fabelhafte LGBT*-friendly Hairstylistin freut sich auf deinen Besuch.HOMOSEXUALITÄT IN GESCHICHTE UND LITERATURMehr oder weniger versteckt findet sich das Thema Männerliebe in der Weltgeschichte, der Politik, in antiken Sagen und traditionellen Mär-chen – aber auch in Wissenschaft, Technik, Computerwelt. Cruiser greift einzelne Beispiele heraus, würzt sie mit etwas Fantasie, stellt sie in zeitgenössische Zusammenhänge und wünscht bei der Lektüre viel Spass – und hie und da auch neue oder zumindest aufgefrischte Erkenntnisse. Diese Folge befasst sich mit einem Freundespaar aus der Bibel – unzer-trennlich, bis der Tod es schied.
Wir brauchen jetzt deine Unterstützung!1. Twint-App önen2. QR-Code scannen3. Adresse angeben4. CHF 100.– sendenFertig2022 Du bist Mitglied bei schwulengeschichte.ch Die Website schwu len ge schich te.ch macht die Ge schich te von Schwulen in der Schweiz in all ihren Facetten zu gäng lich. Betrieb und Wei ter ent wick lung wird von eh ren amt li chen Mit ar bei tern si cher ge stellt.WERDE MITGLIED UND HILF, DASS UNSERE GESCHICHTE NICHT VERGESSEN WIRD 1930 1940 1950 1960 1970 19801990 2000 2010 20201943 Der Kreis1957 Kreis-Ball1973 Gay-Liberation1986 AIDS2004 Partnerschafts-gesetz Demoschwulengeschichte-inserat.indd 1schwulengeschichte-inserat.indd 1 11.06.22 11:5511.06.22 11:55
25CRUISER MAI 2024GESELLSCHAFTCHEMSEXChemsex ist seit Jahren ein Dauerbrenner. Gerade in der Szene wird (zu) oft zu Drogen gegriffen. Besonders Crystal scheint bei Gays beliebt zu sein. VON BIRGIT KAWOHL & HAYMO EMPL Also der war voll drauf, das glaubst du nicht», so omas* (49) nach seinem letzten Sex-Date, vereinbart über Grindr. «Der hüpfte total hektisch durch die Gegend und konnte überhaupt nicht still-halten. Das war der mega Stress für mich.» Das, was omas noch mit Erstaunen kons-tatierte, ist mittlerweile fast so etwas wie der Normalfall in der schwulen Szene. «Chem-sex», so der vom britischen Aktivisten David Stuart im Jahr 2001 geprägte Begri für das Konsumieren von psychoaktiven Drogen vor oder beim Sex, scheint auch in der Schweiz immer mehr auf dem Vormarsch zu sein bzw. die Szene schon fast zu beherr-schen. Gemäss der Online-Seite des Positiv-rats Schweiz sind die europäischen Gross-städte «Hotspots», was den Konsum von (chemischen) Drogen angeht. Dabei sei der Chemsex, in der Szene unter anderem auch unter der Abkürzung PNP für Party and Play bekannt, laut Posi-tivrat vor allem in der MSM-Community vorzunden. Die breite Öentlichkeit er-fuhr von den Chemsex-Parties spätestens 2019: Ein «Chemsex-Party-Veranstalter» stand wegen der Drogen vor Gericht. Die NZZ schrieb am 23.08.2019: «Sein Lebens-inhalt war die Organisation von Sex-Partys, bei denen den Teilnehmern zur zusätzli-chen Stimulation Crystal Meth und Kokain abgegeben wurde. Dafür hat ein 38-jähriger Marokkaner nun eine Freiheitsstrafe von 28 Monaten erhalten, zudem wird er für 6 Jahre des Landes verwiesen.» (Artikel online kos-tenlos abrufbar). Von Ekstase zu Abhängigkeit: Chemsex mit Crystal & Co. «Chemsex», so der vom britischen Aktivisten David Stuart im Jahr 2001 geprägte Begriff für das Konsumieren von psychoaktiven Drogen vor oder beim Sex.Es scheint also einen grossen «Markt» für diese Art von Treen zu geben, wenn es hierfür sogar «Organisatoren» gibt. Und schaut man sich auf den entsprechenden Datingportalen um, kommt immer wieder Crystal Meth ins Spiel. Nicht nur, aber vor allem. ➔Löffel und Drogen, bereit zum Konsum: Nur wenige Hilfsmittel sind nötig, um den ultimativen Rausch zu erreichen. Ein einfacher Prozess für eine tiefgreifende Wirkung. Mit fatalen Folgen. Die Anzahl der Süchtigen «Chem-Sex-Gays» nimmt stetig zu.Bild © Adobe Stock* Name der Redaktion bekannt Wir brauchen jetzt deine Unterstützung!1. Twint-App önen2. QR-Code scannen3. Adresse angeben4. CHF 100.– sendenFertig2022 Du bist Mitglied bei schwulengeschichte.ch Die Website schwu len ge schich te.ch macht die Ge schich te von Schwulen in der Schweiz in all ihren Facetten zu gäng lich. Betrieb und Wei ter ent wick lung wird von eh ren amt li chen Mit ar bei tern si cher ge stellt.WERDE MITGLIED UND HILF, DASS UNSERE GESCHICHTE NICHT VERGESSEN WIRD 1930 1940 1950 1960 1970 19801990 2000 2010 20201943 Der Kreis1957 Kreis-Ball1973 Gay-Liberation1986 AIDS2004 Partnerschafts-gesetz Demoschwulengeschichte-inserat.indd 1schwulengeschichte-inserat.indd 1 11.06.22 11:5511.06.22 11:55
26CRUISER MAI 2024Warum die Drogen?Chemsex als soziales und sexuelles Ritual, das in den frühen 2000er-Jahren an Promi-nenz gewann, verkörpert eine Konvergenz von Intimität und Exzess, bei der der Kon-sum psychoaktiver Substanzen unmittelbar mit sexuellen Begegnungen verknüpft ist. Die Anziehungskraft dieser Veranstaltun-gen liegt in der potenzierten Erfahrung: Eine Verschmelzung von erhöhter Sinnlich-keit, enthemmter Sozialität und erweiter-tem Bewusstsein erzeugt durch eine Palette an Substanzen, die in der Szene unter ver-schiedensten Namen zirkulieren.Dass das Daten heute anders funktio-niert als in der prä-Internet-Zeit, ist logisch, trotzdem ist erstaunlich, dass das Phäno-men des Chemsex vor allem eins der schwu-len Subkultur ist, obwohl sich Heteros auch der sozialen Netzwerke und Dating-Apps (z. B. Tinder als Grindr-Pendant) bedienen. Warum das so sein könnte, hat Kathrin Lö-ler für das deutsche Magazin «Spiegel» un-tersucht. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass Gays generell häuger anfällig für Dro-genkonsum seien, da sie durch ihre Erfah-rungen mit Ausgrenzung und Abwertung schnell ein geringeres Selbstwertgefühl als Heteros hätten. Ihre höhere psychische Be-lastung versuchten sie dann chemisch aus-zugleichen. Hinzu komme der immense Erfolgsdruck, der in der Szene herrsche. So trauten sich viele erst unter Drogen zum Sex, weil sie so «vermeintliche Attraktivi-tätsdezite» ausblenden könnten. Es gibt also sowohl einen inneren als auch einen äusseren Erfolgsdruck, der vermeintlich kompensiert werden muss.Dabei, so Löer, seien die meisten der User in der Gay-Community durchaus gut gebildet und gut verdienend. In dieser Hin-sicht unterscheidet sich die Chemsex-Szene eher von der üblichen Drogenszene, obwohl man dort z. B. im Hinblick auf Kokain auch feststellen kann, dass der Drogenkonsum aus der «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo»-Schmuddelecke weggekommen ist und sich eher im High-Budget-Bankenmilieu wie-derndet.Warum es schwierig ist, davon loszukommenCrystal Meth, auch bekannt als «Tina» oder «Ice», und mittlerweile sogar nur noch als «T» – ist vielleicht die bekannteste Chemsex-Droge. Berüchtigt für die Fähigkeit, Wach-heit zu steigern und die sexuelle Lust zu in-tensivieren, während es gleichzeitig das Schlafbedürfnis für Stunden, wenn nicht Tage, unterdrückt. «Meph» oder «Meow Meow», chemisch als Mephedron bekannt, verspricht ein euphorisches Hoch, das viele in den Bann seiner kurzlebigen, aber inten-siven Eekte zieht. GHB und GBL, im schwulen Jargon einfach als «G» bezeich-net, locken mit ihrer entspannenden Wir-kung, die sexuelle Hemmungen schwinden lässt. Ketamin, oder «Special K», entführt seine Nutzer in eine dissoziative Welt, in der Körper und Geist auf ungewöhnliche Weise divergieren können. Crystal ist aber mit Ab-stand die beliebteste Substanz bei den Par-tys – denn gerade für schwule Neukonsu-menten sind die ersten Crystal-Erlebnisse faszinierend. Dabei im Körper passiert so einiges: Einer der Hauptmechanismen, durch den Crystal Meth seine Wirkung ent-faltet, ist die massenhafte Freisetzung von Dopamin, einem Neurotransmitter, der im Gehirn für Belohnung und Lust zuständig ist. Methamphetamin erhöht die Menge an Dopamin im synaptischen Spalt, was zu ei-nem intensiven Gefühl von Euphorie führt. Diese Euphorie kann sich direkt auf die se-xuelle Lust auswirken, indem sie das Ver-langen verstärkt und das Vergnügen an se-xuellen Aktivitäten erhöht. Dummerweise haut der Körper dann alles ihm zur Verfü-gung stehende Dopamin raus. Und bis die «Speicher» wieder aufgefüllt sind, dauert es einige Tage. Wenn der Konsum also einge-stellt wird, leiden die Chemsexler unter ei-nem starken Mangel an dem Botensto, was zu schweren Entzugserscheinungen wie Depressionen, Erschöpfung und intensivem Verlangen nach der Droge führt. Die Party ist dann endgültig vorbei. Die(se) Schatten-seiten des Substanzkonsums werden oft im Crystal Meth, ist vielleicht die bekannteste Chemsex-Droge. Berüchtigt für die Fähigkeit, Wachheit zu steigern und die sexuelle Lust zu intensivieren, während es gleichzeitig das Schlafbedürfnis für Stunden, wenn nicht Tage, unterdrückt.Das Y-Kollektiv* hat einen Dokumentarfilm über «Chem-Sex-Partys» produziert. Diese Reportage begleitet das schwule Berliner Ehepaar Tadzio und Wolf durch eine intensive Nacht, in der Sex und Drogen eine zentrale Rolle spielen. Die aufgezeichneten Szenen können teilweise verstörend wirken, spiegeln jedoch eine traurige Wirklichkeit wider.Bild © Screenshot Y Kollektiv
27CRUISER MAI 2024GESELLSCHAFTCHEMSEXRausch der Ekstase übersehen. Die sexuelle Enthemmung, die diese Drogen bewirken, kann zu risikoreichem sexuellen Verhalten führen, welches das Tor für HIV, Hepatitis C und andere sexuell übertragbare Infektio-nen weit önet.Die paradoxale Natur der Chemsex-Szene – eine Gemeinschaft, die auf der Su-che nach Verbindung und Zugehörigkeit oft in Isolation und Entfremdung mündet – hat innerhalb der Gay-Community und darü-ber hinaus zu einem Ruf nach Bewusstsein und Unterstützung geführt. Initiativen zur Aufklärung und Prävention machen auf die Risiken aufmerksam. Bringen tut das wohl nicht allzuviel; denn fast jeder schwule Mann weiss, dass das, was er da macht, nicht wirklich gut fürs Wohlbenden ist. (Dr. Gay hat übrigens eine eigene Rubrik in Sachen Chemsex: www.drgay.ch/safer-drugs). Warum die Gay-Community?Die Szene ist so vielfältig wie die Menschen an sich, trotzdem haben Studien u. a. aus England einige Gemeinsamkeiten inner-halb der Usergruppe feststellen können.Bestätigt hat sich die Vermutung, dass Chemsex vor allem unter Gays mittlerweile zum Standard gehört, so seien ca. 2/3 der User schwul. Von diesen Schwulen seien dann erstaunlich viele HIV-positiv, stellt Dr. Carsten Käfer von der Chemsex-Ambulanz des Universitätsspitals im deutschen Tübin-gen fest. Auch die Schweizer Ärzte sehen sich zunehmend mit Suchtproblemen und STD konfrontiert – genaue Zahlen existie-ren diesbezüglich nicht.Woran das liegt, kann man nur vermu-ten. Klar, einer der Gründe ist das Eliminie-ren von Hemmungen und der Versuch, die Geilheit zu steigern. Die Autor*innen dieses Artikels wissen zudem aus Erfahrung, dass es innerhalb der schwulen Community oft Ideale hinsichtlich Aussehen, sexueller Leistung und Lebensstil gibt. Der Konsum von Drogen wird manchmal als Mittel gese-hen, um diesen Erwartungen gerecht zu werden, die sexuelle Ausdauer zu erhöhen, die Attraktivität zu steigern oder idealisier-te sexuelle Erfahrungen zu ermöglichen.Zudem – das muss ehrlicherweise auch ge-sagt werden - hatte und hat die schwule Kul-tur eine komplexe Beziehung zu Drogen, die teilweise noch aus der Zeit der sexuellen Be-freiung in den 1960er- und 70er-Jahren stammt. In einigen Teilen der schwulen Szene wurden Drogenkonsum und risi-kofreudiges Verhalten als Formen des Wi-derstands gegen heteronormative Gesell-schaftsnormen und als Mittel zur Schaung eigener Räume und Identitäten gesehen. Wie weiter?Dass Drogen generell irgendwie schlecht sind, weiss eigentlich jede*r. Trotzdem ➔ Der Konsum von Drogen wird manchmal als Mittel gesehen, um Erwartungen gerecht zu werden, die sexuelle Ausdauer zu erhöhen, die Attraktivität zu steigern oder idealisierte sexu- elle Erfahrungen zu ermöglichen.ANZEIGEKAMMERSPIELE SEEB DAS THEATERERLEBNIS IN BACHENBÜLACH!INFOS & TICKETSkammerspiele.ch +41 44 860 71 47Inserat_Kammerspiele_CruiserMagazin.indd 1Inserat_Kammerspiele_CruiserMagazin.indd 1 20.10.20 17:0520.10.20 17:05
28CRUISER MAI 2024greifen immer mehr Menschen auch in Zu-sammenhang mit Sex dazu. Ähnlich wie beim Alkohol, der ja früher häug vor dem Sex konsumiert wurde, lässt man schnell Hemmungen fallen, wird spitz, traut sich, ein schnelles Date auszumachen und liefert (gefühlt besser) ab. Die erwünschte Hemmungslosigkeit führt dann jedoch schnell quasi nebenbei zu sexuellen Übergrien – es kann ja durch-aus sein, dass das Grindr-Date halt nicht so toll ist wie gedacht und da besteht die Ho-nung, die Drogen könnten das Date noch retten, vielleicht dann sogar ohne das Ge-genüber um Zustimmung zu fragen. Für viele ist der einmal in Gang ge-kommene Trend kaum abwendbar, hier müsste sich grundsätzlich etwas in Bezug auf Erwartungen und Haltungen vor und beim Sex etwas ändern. Es ist nicht zu er-warten, dass sich das Kennenlernen in nächster Zeit wieder – «back to the roots» - in Bars stattnden wird. Innerhalb der Community gibt es eine wachsende Diskus-sion über Chemsex und die damit verbun-denen Risiken. Einige Stimmen fordern eine stärkere Selbstregulierung und Be-wusstseinsbildung über die Gefahren des Drogenkonsums. Das zunehmende wissen-schaftliche und gesundheitspolitische Inte-resse am ema Chemsex führt hoentlich zu besserem Verständnis und eektiveren Interventionsstrategien – auch hier wieder: Siehe Dr. Gay.Vielleicht hilft es auch, dass (beson-ders) Crystal zu optischer Unattraktivität führt. Das ist dann irgendwann für weitere Grindr-, Scru- & Gayromeo-Dates hinder-lich. Denn niemand will einen Zombie daten. Genau so sehen Crystal-Konsu- ment*innen nämlich früher oder später aus. Regelmässiger Crystal-Meth-Konsum führt zu erkennbaren körperlichen und psychi-schen Veränderungen. Die Haut kann durch Akne, Ausschläge und Kratzwunden auf-grund von Halluzinationen geschädigt er-scheinen. Ein markantes Merkmal ist der «Meth Mouth», also starker Zahnverfall und Zahnverlust, verursacht durch schlechte Mundhygiene und die Unterdrückung des Speichelusses.Ein weiteres Symptom ist erheblicher Gewichtsverlust, da Meth den Appetit zü-gelt, was zunächst vielleicht sogar eine ge-wünschte Nebenwirkung ist, letztendlich aber zu einem abgemagerten und damit äusserst unattraktivem Erscheinungsbild führt. Meth-Konsum kann auch vorzeitige Alterungserscheinungen wie Falten und schlae Haut hervorrufen. Auf psychischer Ebene führt regelmässiger Konsum oft zu Verhaltensänderungen wie Paranoia, Angst-zuständen und Aggressivität.Die eigene Erwartungshaltung – sich selbst und anderen gegenüber – hat jeder in der Hand. Und zwar bei jedem neuen Date. Klar kann es dann passieren, dass man nicht à la minute bereit ist. Aber bringt man nicht schon kleinen Kindern bei, mit Versa-gen umzugehen? Warum gestehen wir uns das dann im Alter plötzlich nicht mehr zu? Unser Körper wird es uns jedenfalls danken (siehe Nebenwirkungen) und manchmal kann so vielleicht sogar eine ehrliche Bezie-hung entstehen. Meth-Konsum kann auch vor- zeitige Alterungserscheinungen wie Falten und schlaffe Haut hervorrufen. Auf psychischer Ebene führt regelmässiger Konsum oft zu Verhaltensände- rungen wie Paranoia, Angst- zuständen und Aggressivität.GESELLSCHAFTCHEMSEXVorher - während - nachher: Der Prozess beginnt mit unscheinbaren Kristallen, die harmlos erscheinen mögen, aber das Potenzial haben, Auswirkungen auf das Leben der Konsument*innen zu entfalten. Diese Substanzen, ziehen eine Reihe von physischen und psychischen Veränderungen nach sich. Langfristig können gravierende gesundheitliche Schäden auftreten, darunter der Verlust von Zähnen.Bilder links © Unsplash / Y-Kollektiv / Wikipedia, Bild rechts © Kammerspiele Seeb, Michael SchroerDas Y-Kollektiv ist ein journalistisches Projekt in Deutschland, das sich durch eine junge und investigative Herangehensweise auszeichnet. Es produziert Reportagen und Dokumentarfilme, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen Themen und subkulturellen Phänomenen auseinander- setzen. Das Y-Kollektiv ist Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Kurzfilm «Chemsex- Warum einige Schwule auf Drogen Sex haben» ist unter folgendem QR-Code abrufbar:
29CRUISER MAI 2024Ein Rechtsanwalt, seine Ehefrau, viele Kriminelle und ein Achtsamkeitsguru – das ist die Basis, aus der grossartige Inszenierungen zum Leben erweckt werden.So schnell kann’s gehenVON BIRGIT KAWOHLAdaptionen von Spiellmen oder Ro-manen auf der Bühne – oder umge-kehrt - sind bei Weitem keine Selten-heit. Eine frühe Umsetzung kennen wir mit Hitchcocks «e 39 Steps» (deutsch: «Die 39 Stufen») aus dem Jahr 1935, der eine Adapti-on des Krimis von John Buchan von 1915 war und anschliessend von Patrick Barlow in ein Bühnenstück umgeschrieben wurde. Oder auch der erfolgreiche Spiellm «Der Vorname» (2018) des Regisseurs Sönke Wortmann, mit dessen Sto man mittler-weile auf einigen deutschsprachigen Büh-nen unterhalten wird. Daher ist es nachvoll-ziehbar, dass der Dramaturg Bernd Schmidt eine Umsetzung des Erfolgromans «Acht-sam morden» von Karsten Dusse aus dem Jahr 2019 geschrieben hat; ein Roman übri-gens, der monatelang auf den Bestsellerlis-ten stand und mittlerweile vier Nachfolge-bände verzeichnet, von denen der letzte, ➔ KULTURKAMMERSPIELE SEEBIm Theaterstück «Achtsam morden», das auf dem gleichnamigen Bestseller basiert, scheinen sich die Ereignisse zu überschlagen. Diese rasant inszenierte Komödie entführt das Publikum in eine Welt voller skurriler Wendungen und komischer Missgeschicke.
CRUISER MAI 2024Bilder © Kammerspiele Seeb, Michael Schroer«Achtsam morden durch bewusste Ernäh-rung», Anfang dieses Jahres erschienen ist – und wieder umgehend zu einem Hit wurde.Ein Banker, ein Guru und eine EhefrauIm ersten Band (und dann auf der von dem Bühnenbauer Henry Moderlak klug ge-nutzte und ausgestattete Bühne der Kam-merspiele Seeb) lernen wir den mehr oder weniger erfolgreichen Rechtsanwalt Björn Diemel kennen, in Bachenbülach genial von Niklas Leifert verkörpert. Der Mann ist eine arme Wurst, das merken die Zuschauer*in- nen sofort, Björn Diemel erkennt das leider nicht so wirklich. Er ist gefangen zwischen seiner fordernden Frau - hier gespielt von Sara Ackermann, die nicht nur ebendiese Rolle, sondern auch acht weitere Charakte-re plastisch auf die Bühne bringt – und sei-nem Beruf, der ihm momentan vor allem einen Klienten beschert, den Gangster Dra-gan. Und dieser Dragan ist nicht einfach irgendein Kunde, er fordert die volle Auf-merksamkeit seines Anwalts und das rund um die Uhr. Dass dadurch für Björn Diemel nicht mehr viel Zeit für seine Ehefrau und die gemeinsame vierjährige Tochter bleibt, versteht sich von selbst. Um seine Ehe zu retten, lässt er sich daher von seiner Frau zu einem Achtsamkeitsseminar bei dem mehr als windigen Guru - er selbst nennt sich lie-ber Coach – Joschka Breitner überreden. Breitner wird von dem in Zürich geborenen Philipp Malbec als ebenso faszinierend wie durchtrieben dargestellt. Den anderen von ihm verkörperten neun Personen haucht Malbec nach und nach und dabei varian-tenreich immer wieder neue Leben ein. Durch verschiedene Wirrungen kommt es zu diversen Todesfällen, teilwei-se durch die gerade erst erworbene Acht-samkeit des Protagonisten unachtsam ver-schuldet, und einer immer weiter gehenden Verstrickung in das Agieren der Gangster des bis dato unbescholtenen Bürgers Björn Diemel. Cameo-Auftritt des RegisseursKammerspiel-Gründer und künstlerischer Leiter Urs Blaser, ein Vollblut-eaterpro mit Gespür für gute Stoe und spannende Inszenierungen, bringt das Stück mit oben genannten drei Schauspieler*innen (plus eines winzigen Gastauftritts seiner selbst) in dem gemütlichen und doch hoch profes-sionellen eater in Bachenbülach auf die Bühne. Und damit sind wir auch ein wenig bei Hitchcock und seinen «39 Stufen». Nicht Die Schauspieler*innen Niklas Leifert, Sara Ackermann und Philipp Malbec (von links nach rechts) sind ein wahres Trio Infernale auf der Bühne. Die Charaktere navigieren durch eine Kette von turbulenten und unerwarteten Situationen, welche die Zuschauer*innen von einem Lacher zum nächsten führen.Um seine Ehe zu retten, lässt er sich daher von seiner Frau zu einem Achtsamkeitsseminar bei dem mehr als windigen Guru – er selbst nennt sich lie-ber Coach – überreden. 30
CRUISER MAI 2024nur, dass dort wie hier eine Vielzahl von Figuren von einem sehr überschaubaren Bühnenpersonal dargestellt werden, auch Hitchcock gönnte sich bei seinen Filmen je-weils einen kleinen Auftritt, was immer wieder zu spannenden Wettkämpfen bei den Zuschauer*innen führte, weil jede*r den Meister als Erstes entdecken wollte.Das Publikum, von dem der Grossteil gesättigt durch das vorab genossene vielfäl-tige Buet im Foyer der Kammerspiele und durch die aufmunternden Getränke bzw. Desserts in der Pause zusätzlich erfrischt war, genoss die Inszenierung sichtlich, denn mehr als einmal kam es zu lautem La-«Achtsam morden» nach einer Bühnenbearbeitung von Bernd Schmidt läuft noch im Mai an diversen Abenden Regie: Urs BlaserDarsteller*innen: Sara Ackermann, Niklas Leifert, Philipp MalbecKammerspiele Seeb, Zürichstrasse 16, 8184 Bachenbülach. Karten können telefonisch oder im Internet bestellt werden. Dort sind auch die Reservie- rungen für das Buffet möglich.Urs Blaser, ein Vollblut-Theater-profi mit Gespür für gute Stoffe und spannende Inszenierungen.Das kuschelige Theater in Bachenbülach bietet Platz für 85 Zuschauer*innen, mit garantiert freier Sicht auf die Bühne.Vor den Aufführungen und in den Pausen kann man es sich im bewirtschafteten Foyer gutgehen lassen.chen und anderen zustimmenden Reakti-onen, die den Schauspieler*innen zeigten, dass sie alles richtig machten. Diese wirk-ten, obwohl sie das Stück schon mehrfach gespielt hatten, absolut frisch und inter-agierten auf eine herzliche und herzerfri-schende Weise mit den Zuschauer*innen, sodass alle traurig waren, dass auch dieses Stück der Kammerspiele irgendwann ein-mal zu Ende sein musste und der Vorhang el. 31KULTURKAMMERSPIELE SEEB
32CRUISER MAI 202432CRUISER MAI 2024BUCHTIPPArmistead Maupin: Landgeschichten. Kindler Verlag 2024.Preis CHF 33.90ISBN 978-3-463-00063-3VON BIRGIT KAWOHLFür viele Queers ist die Barbary Lane 28 so etwas wie ein mentaler Rückzugs-ort. Seit Armistead Maupin seinen Fi-guren in neun Romanen, die ab Ende der 1970er-Jahre rund um ein Haus in San Fran-cisco spielen, Leben eingehaucht hat, kann man sich ein Leben ohne Michael Tolliver, Anna Madrigal etc. kaum mehr vorstellen. Selten wurde queeres Leben so fantastisch und doch realitätsnah, so romantisch und doch so brutal realistisch, so lebensfroh und doch so unendlich traurig dargestellt.Nun sind seit dem Ersterscheinen des letzten Band der «Stadtgeschichten» in den USA zehn Jahre vergangen, unterbrochen von einer 2019 bei Netlix erschienenen Se-rie, weswegen die eingeeischten Maupin-Leser*innen bereits gehörig mit den Füssen scharrten, als der Titel vom Verlag angekün-digt wurde. Der Roman hat also einiges an Erwartungen zu erfüllen, was nicht unbe-dingt ein Vorteil sein muss – im Gegenteil. Viele Leser*innen waren wahrscheinlich subito verwundert, manche vielleicht sogar enttäuscht, dass aus den «Stadtgeschich-ten» nun «Landgeschichten» geworden sind, ist das Land für viele Menschen der Community doch eher ein Ort des Schre-ckens und Versteckens als der Freiheit. Maupin hingegen gelingt es, auch ei-nen noch so beschaulichen Ort in England zu einem Ort der Toleranz und der freien Liebe zu machen. Das liegt natürlich zum einen an seiner unnachahmlichen Art zu schreiben und der hinter jedem Wort her-vorblitzenden Haltung, die Maupin zeigt, zum anderen aber auch an einem sehr ge-schickten Kni, den der Autor vornimmt: Er lässt nämlich einen Teil des Personals der Barbary Lane nach Grossbritannien zügeln, wo somit ein ungezügelter Ableger der San Francisco-Haus- und Lebensgemeinschaft etabliert werden kann. Protagonistin ist Mona Ramsey, die in England durch Heirat mit dem schwulen Lord Roughton zur Lady geworden ist. Allei-ne das ist schon der Knüller, wie die hart aber herzliche Lesbe durch Schloss und Ort fegt und dort nicht nur den einen oder ande-ren Kopf verdreht, sondern auch für ihre Gäste – irgendwie muss das Leben ja nan-ziert werden – zu einem sicheren Hafen wird.Auch wenn manches letztendlich ein wenig vorhersehbar ist, führt einen der Ro-man in die Zeit der 1990er-Jahre, in der AIDS das alles beherrschende ema unter Schwulen war, mit dem man aber doch er-staunlich fahrlässig und gleichgültig um-ging. Dr. Gay biegen sich hier wahrschein-lich die Zehennägel um, wenn er von quasi öentlichen Fick-Plätzen liest, an denen man für die Stimmung einen Kerzenständer aufstellt und für die Sicherheit ein paar Kon-dome auslegt, die aber nicht wahnsinnig populär unter den Besuchern sind. Unter diesen bendet sich als netter Gimmick auch der noch nicht geoutete George Mi-chael, der von Maupin mit einem göttlichen Schwanz versehen wurde. Hach!Jedenfalls ist so viel sicher: Auf dem Land oder in der Stadt, das Einzige was zählt, ist die Liebe. Auch wenn manches letztend-lich ein wenig vorhersehbar ist, führt einen der Roman in die Zeit der 1990er-Jahre, in der AIDS das alles beherrschende Thema unter Schwulen war, mit dem man aber doch erstaunlich fahr-lässig und gleichgültig umging.Kann es auf dem Land so spannend sein, wie in San Francisco? Zumal wenn man queer ist? Amistead Maupin wagt sich auf neues Terrain.«Mir gefällt es in diesem Kaffvoller Sünder»KULTURBUCHTIPPBuchtippMaiBilder rechts © Christian Knörr
33CRUISER MAI 2024CRUISER EMPFIEHLTSTOFFWECHSEL BALLETT«LIVEstinguished» Tanz- und Videostück mit doppelter Perspektive; Konzept und Choreographie – La Ribot / Komposition – Alexandre Babel Erster Teil des Doppelabends: La Ribot hat ihr Stück «DIEstinguis-hed», das 2022 uraufgeführt wurde, für das Ballett Basel neu adap-tiert. In diesem Stücke unter dem neuen Titel «LIVEstinguished» setzen die Körper der Tänzer*innen alles in Gang. Diese sind mit Kameras ausgestattet und das Publikum erlebt zwei Sichtweisen: die Frontalansicht der Performance und, auf dem eigenen Handy, die persönliche Sicht des live Gelmten. Es entsteht ein schwindel-erregendes Skalenspiel zwischen Nähe und Totale, Brennweite und Schürftiefe. Aus den Körpern werden leuchtende Tableaus – erotisch, lächerlich, skurril – die vergehen.(La Ribot) vielfach nachgeahmt, aber nie erreicht (…) mit der wachen Sensibilität für Menschen und einem scharfen Auge für den Humor im menschlichen Drama. - Neue Zürcher Zeitung«The End of Things: The Things of Ends» Die Lücke, die bleibt. Die Leere, die uns umgibt. Subtile Verschiebung: Konzept und Choreographie: Fabrice Mazliah Vorhang auf! In dieser Weltpremiere für das Ballett Basel endet der Tanz immer wieder. Indem sie nale Momente aus zahlreichen Tanzstücken wiederverwenden – reale und ktive – bewegen sich die Tänzer*innen durch ein Spiel aus Anfängen und Abschlüssen. Das Stück, geschaen vom in Genf geborenen und neuerdings in Basel ansässigen Choreografen Fabrice Mazliah, präsentiert ko-operative Forschung der Tänzer*innen zum ema des Übergangs. Begleitet wird das Ganze von der Originalmusik von Johannes Hel-berger (elektronische Komposition) und dem Ensemble Aventure (Arrangement und Auührung). In komplexen Schichten arbeiten die Performer*innen auf eine akribisch konstruierte, spielerische und neugierig virtuose Weise zusammen. La Ribot, eine Grenzen überschreitende Künstlerin, verbindet Tanz mit bildender Kunst, indem sie den Fokus auf den Ausdruck und die Rechte des Körpers legt. Ihr Weg führte sie von klassischem Tanz über zeitgenössischen Ausdruck in mehreren Ländern zu-rück nach Madrid, wo sie Avantgarde-Tanz förderte. Ihre Arbeiten, anerkannt von der Live-Kunst-Szene,wurden weltweit in renommierten Museen ausgestellt.Fabrice Mazliah, ein Choreograph und Performer aus Basel, erforscht die Interaktion zwischen Körper, Um-welt und Objekten durch Bewegung und Sprache. Nach Engagements beim Nederlands Dans Theater und der Forsythe Company kreiert er Werke, die narrative und poetische Formen neu definieren, und leitet Workshops in führenden Tanzprogrammen Europas.STOFFWECHSEL BALLETT Doppelabend von La Ribot und Fabrice MazliahDiverse Vorstellungen im MaiInteressant für Menschen ab 13+Weitere Infos unter: https://www.theater-basel.ch/de/stoffwechselDas Ballett Basel bietet mit «LIVEstinguished» und einer Weltpremiere von Fabrice Mazliah einen innovativen Doppelabend, der Tanz, Technologie und Musik vereint.Vielfach nachgeahmt, aber nie erreichtEMPFEHLUNG VON TEAM CRUISER
34CRUISER MAI 2024In letzter Zeit komme ich beim Sex nicht mehr zum Orgasmus. Das stresst mich und ich kann mich nicht mehr auf den Sex konzentrieren. Geht das nur mir so oder haben auch andere dieses Problem? Justin (35)Hallo JustinDas geht nicht nur dir so. Die meisten Män-ner erleben im Laufe ihres Sexlebens Or-gasmusstress. Das soll dich nicht beunru-higen, ausser es geht nicht vorbei und der Stress wird immer grösser. Die Gründe sind meist psychisch, zum Beispiel durch Erwartungs- oder Leistungsdruck. Geht es beim Sex einzig um «Leistung», ist das kon-traproduktiv. Es kann helfen, wenn du dich entspannst, dich hingibst und dir mög-lichst keine Gedanken über das Abspritzen machst. Du scheinst Spass am Sex zu ha-ben. Versuche das beizubehalten und den Sex als Ganzes zu sehen, ohne dich auf den Orgasmus als ultimatives Ziel zu konzent-rieren. Denn geiler und guter Sex ist auch ohne Orgasmus möglich. Mit dieser Ein-stellung nimmst du den Fokus vom Orgas-mus und bist dadurch automatisch ent-spannter. Und wenn du dann doch kommst, umso geiler. Weitere Gründe für Probleme mit dem Kommen können auch übermässi-ger Porno-, Drogen- oder Medikamenten-konsum, Beziehungsprobleme oder Stress beim Arbeitgeber sein. Es kann auch sein, dass sich deine sexuellen Vorlieben mit der Zeit verändern, dass du vielleicht andere Stimulationen brauchst. Hier liegt es an dir herauszunden, was dich (neu?) anmacht. Hier ndest du mehr dazu und vielleicht die eine oder andere Inspiration: drgay.ch/inspiration. Aber auch körperliche Ursa-chen kommen in Frage. Wenn deine Proble-me anhalten, solltest du eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen und allfällige körper-liche Beschwerden abklären lassen. Detail-liertere Informationen zu Erektionsproble-men ndest du hier: drgay.ch/schwuler-sex.Alles Gute, Dr. Gay drgay.ch drgay_official @drgay_officialBei Dr. Gay ndest du alles rund um das Leben in der Community: Sexualität, Beziehungen, Drogen und mehr. Dr. Gay ist ein Angebot der Aids-Hilfe Schweiz und fördert die Gesundheit von schwulen, bi & queeren Männern, sowie trans Personen durch Präventionsarbeit mit der Community.Mehr Infos zum Thema «Reden wir über uns» gibt es hier:Bezahlt die Krankenversiche- rung Tests auf Geschlechts- krankheiten? Meine Franchise habe ich bereits erreicht. Ivo (29)Hallo IvoFür den Nachweis von Syphilis-Bakterien wird in der Regel ein Bluttest durchgeführt. Es ist möglich, dass ein Test nach einer Sy-philis-Infektion anfänglich negativ aus-fällt. Im Verdachtsfall sollte der Test des-halb nach etwa zwei bis vier Wochen wiederholt werden. Die Situation muss dann von einem Arzt oder einer Ärztin ein-geschätzt werden, denn sie kennen die Tü-cken und können, falls nötig, die richtigen Massnahmen ergreifen. Zum Beispiel kann bei Menschen mit Immunschwäche ein Sy-philis-Suchtest manchmal trotz klarer Symptome negativ ausfallen. Solltest du aufgrund einer spezischen Situation Fra-gen haben, lass dich am besten direkt bei einer Teststelle oder von deiner Ärztin oder deinem Arzt beraten. Spezialisierte Test-stellen ndest du auf drgay.ch unter «Deine Kontakte».Alles Gute, Dr. Gay34RATGEBERDR. GAYCRUISER MAI 2024
drgay.ch drgay_official @drgay_officialMehr Infos zum Thema «Reden wir über uns» gibt es hier:
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