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Marco Carocari

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szene & subkulturCRUISER SZENE: AM PULS DER LGBT*-COMMUNITY. AKTUELL, INFORMATIV UND MITTENDRIN.Foto © Marco Carocari

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KULTURMARCO CAROCARIMarco Carocari war gefeierter Fotograf in der Schweiz – nun wohnt er in den USA und hat eben seinen ersten Roman veröffentlicht. Wir haben uns mit ihm unterhalten.«Bei den Amis ist oft alles grösser, wilder und fantastischer»22Foto © Marco CarocariCRUISER JUNI 2021

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23KULTURMARCO CAROCARIVON HAYMO EMPLMarco Carocari ist langjährigen Cruiser-Leser*innen bestimmt ein Begri: In den 1990er-Jahren zeich-nete er für einige Cruiser-Cover verantwort-lich und lieferte die in der «Prä-Internet-Zeit» beliebten Bildstrecken im Magazin. Auf der vorhergehenden Seite «szene & sub-kultur» ist beispielsweise ein typisches Foto von Marco zu sehen. Tempi passati: Marco wanderte vor fünf Jahren in die USA aus, hat dort seinen Mann geheiratet und sorgt der-zeit mit seinem Buch «Blackout» für Furore. Cruiser: Wie ist das so: Verheiratet in den USA?Marco Carocari: Als das ema Beziehung und Zusammenbleiben etwas ernsthafter wurde bei uns, war immer klar, dass ich den Schritt ins Ausland machen würde. Als Foto-graf, der iessend Englisch spricht, war das für mich weitaus einfacher als für ihn als Haus-makler, der nach sieben Jahren Beziehung mit mir kaum mal fünf Sätze auf Deutsch zusam-menbringt. Aber wenn er sie bringt, wie bei-spielsweise «Was ist denn los?», «Halt dein Maul» oder «Du bist ein Kindskopf»,sind sie, richtig platziert, umso witziger.Was hast du in der CH gearbeitet und was arbeitest du jetzt?Die letzten zwanzig Jahre war ich als Fotograf selbstständig, und habe, wenn’s mit Aufträ-gen dünn gesät war, nebenher noch an diver-sen Stellen gejobbt. Vor dem Auswandern war ich bei Light&Byte AG teilzeitlich auch als Foto-Rent- und Studiomanager verant-wortlich. Ich bin immer noch Fotograf, aber mein Zielpublikum hat sich seit den Portraits und nackten Männern etwas verändert. Heu-te schiesse ich fast ausschliesslich Architek-tur, Interior Design und Immobilien, was in einer Stadt voller fantastischer 50er- und 60er-Jahre-Bauten sehr spannend sein kann.Wie war der Start in dein «neues Leben»?Überwiegend positiv – die Kalifornier sind allgemein sehr herzlich. Ich komme schon seit über dreissig Jahren nach LA und war immer gerne hier, musste mich aber auch schnell damit abnden, dass die Leute recht oberächlich sein können.Es dauerte einige Jahre, bis ich Leute kennengelernt habe, welche heute noch Freunde sind. In Palm Springs, einer Stadt, in der viele Einwohner nur saisonal woh-nen, ist das aber etwas anders. Amis, Euro-päer, Kanadier, alle sind sehr locker drauf, man trit sich (vor Covid) beim Einkaufen, in der Bar und hat engere Kontakte als in der Grossstadt. Das mag auch mit dem Durch-schnittsalter zu tun haben, welches hier we-sentlich höher ist als in LA oder New York, sodass Mark und ich mit Anfang fünfzig zu den Jungen gehören.Und nun hast du ein Buch geschrieben...Genau. Das begann mit einer Eigenwette, um zu sehen, ob ich eine Story schreiben könnte, die sich nicht nur wie die einer mei-ne Lieblingsautoren liest – Michael Connel-ly, Dennis Lehane, Michael Nava – sondern auch in Englisch stilistisch perfekt ist, als ob sie ein Ami geschrieben hätte.➔ANZEIGE8. JULI – 1. AUGUST 2021FESTIVALDAJAZZ.CH host main partners partners main media partnersANGÉLIQUE KIDJO Candy Dulfer JOSS STONE Till Brönner KEZIAH JONES Monty Alexander BRAD MEHLDAU Rufus Wainwright LISA SIMONEJOSÉ JAMES Pepe Lienhard ZUCCHERO Rita Payés JOHN MC LAUGHLINMoka Ei Orchestra ANDREAS VOLLENWEIDER and many more …

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24CRUISER JUNI 2021KULTURMARCO CAROCARIMarco Carocari lebt mittlerweile in den USA und ist glücklich mit seinem Mann verheiratet. Den Lockdown nutzte er, um seinen ersten Roman zu schreiben.Die Amerikaner sind ja Meister im Geschichtenerzählen. Was machen sie anders als wir hier? Bei den Amis ist oft alles grösser, wilder, und fantastischer, was aber absolut nicht «bes-ser» bedeutet. Ich liebe Autoren welche – in meinen Augen – die richtige Kombination aus spannender Geschichte, glaubwürdigen Charakteren und Action erzeugen. Viele Neulinge machen gerne den Fehler, alles bis ins letzte Detail zu beschrieben. Das ist meistens unnötig, denn Leser wollen auch ihre eigene Fantasie mit in die Story einspie-len. Die richtige Balance zu nden, hat et-was gedauert, aber es hat letztendlich das Buch auch viel stärker und geschmeidiger gemacht. Es ist wichtig, den Leser von An-fang an fesseln und mitreissen zu können, ruhigere Momente in der Story sollten ihm oder ihr lediglich einen Verschnaufer geben, nicht einschlafen lassen.Ich lerne immer noch und besuche weiterhin Kurse oder lese Bücher von Auto-ren, die ich bewundere, aber es freut mich riesig, dass «Blackout» überall so positiv auf-genommen wird und fantastische Kritik erntet. Man hot ja immer, aber die Freude und Reaktionen wildfremder Leser hat mich dann doch etwas vom Hocker gehauen. Der Mitvierziger Franco hat sich definitiv die falsche Nacht ausgesucht… Eine Verabredung mit einem heissen Typen auf dem Dach seines Hauses in Manhattan und ein Joint, von dem er nicht weiss, dass er gestreckt ist, lassen ihn benommen zurück. Und – wenn er sich recht erinnert – ist er der einzige Zeuge eines Mordes auf der anderen Strassenseite.Nur können die Cops weder einen Tatort noch eine Leiche finden, und Francos löchrige Erinne-rungen und widersprüchliche Aussagen sind nicht besonders hilfreich für die Polizei. Als Tage später die verstümmelte Leiche eines philan-thropischen Millionärs entdeckt wird, ist er nicht nur schockiert zu erfahren, dass er ihn kannte, sondern mit Francos Fingerabdrücken überall am Tatort wird er auch schnell vom unzuverläs-sigen Zeugen zum Hauptverdächtigen.Fotos © Marco CarocariWorum geht es in deinem Buch?Franco DiMaso ist ein halb erfolgreicher, dreiundvierzigjähriger New Yorker Foto-graf, der eines Nachts unfreiwillig Zeuge ei-nes Mordes wird – dass er zuvor ein Sexdate mit einem Fremden hatte, bei welchem er einen Joint mitgeraucht und danach einen totalen Filmriss erlebt hat, macht die Situa-tion nur komplizierter. Die Polizei kommt, ndet aber weder Tatort noch Leiche, und Franco hinterlässt bei den Bullen einen mehr als fragwürdigen Eindruck. Als sie Tage später die Leiche in einer Mülltonne nden, nimmt die Polizei ihn nicht nur ernst, sie behandelt ihn auch gleich als Hauptverdächtigen. Erst recht, nachdem sich herausstellt, dass der neue Todesfall mit dem Mord an Francos Vater zusammen-hängt, den Franco als Vierjähriger miter-lebte, kurz bevor der berüchtigte Blackout von 1977 die Stadt für eine tragische Nacht stillgelegt hat.Mit einem Buch wird man selten reich. Was war die Motivation dazu?In den 80ern und 90ern gab’s reihenweise richtig gute Krimis, die schwule Haupt-darsteller hatten, herausgegeben von rela-tiv grossen Verlagen. Und plötzlich war Schluss. Momentan kommt bei uns diese «own voices» Welle auf, in der marginali-sierte Autoren zu Wort kommen und geför-dert werden (wie lange wird sich zeigen, be-kanntlich interessiert die meisten Verlage ja nur der aktuelle Trend und ob sie mit dem Buch Geld machen können).Nach sechs Jahren schreiben und um-schreiben war ich irgendwann so weit, dass alle Testleser fanden, das Buch könne ab -so lut mit anderen, herkömmlichen Krimis und rillern mithalten. Dann ging’s ans Anschreiben diverser Verlage (ich lebte be-reits in den USA), und zuerst regnete es nur Absagen. Ich habe weiterhin Schreibkurse und Krimi-Konferenzen besucht, Kontakte geschaen, und irgendwann hat’s plötzlich geklappt. «Blackout» fand bei einem kleine-ren Verlag mit rund achtzig Autoren ein Zu-hause, und der Enthusiasmus der Verleger, einen schwulen Autoren mit einem traditio-nellen Krimi mit schwulem Protagonisten zu veröentlichen, hat mich überzeugt zu unterschreiben.Franco Di Maso ist in deinem Buch der Detektiv. Marco Carocari und Franco Di Maso: Ohne das Buch gelesen zu haben, wird relativ schnell klar, dass die Romanfigur deine etwas jüngere Version ist.Haha, ja, beim Schreiben gibt’s ja wei Lager: «Schreib, was du kennst» oder «Schreib, was du nicht kennst». Ich liege da in der Mitte. Franco hat einige meiner eigenen Höhen und Tiefen in seinem ktiven Leben erlebt und ähnelt mir auch hier und dort etwas in seinem Denken oder Handeln. Gleichzeitig wollte ich die Figur aber auch ihre eigenen Ecken und Kanten und Macken haben las-sen. Diverse weitere Figuren basieren auf meinen engsten Freunden, sind aber letzt-endlich auch ktiv. Das gab mir die Balance bei all den emen, welche ich recherchie-ren musste und selbst nicht erlebt hatte, wie etwa Mord, aufwachsen im 70er-Jahre Ame-rika oder Spurensicherung bei der Polizei. Ich wollte einen «Anti-Helden» in einer Ex-tremsituation, der aber auch dein Nachbar sein könnte. Jemand, der sich neu (er)nden muss, um (hoentlich) aus der Situation he-rauszukommen.